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„Jetzt schon an die Zeit nach dem Ukraine-Krieg denken“

Jochen Flasbarth Staatssekretär im BMZ

Trotz andauernder Kampfhandlungen hat die Ukraine bereits mit dem Wiederaufbau ihres Landes begonnen. Wir haben mit Jochen Flasbarth, Staatssekretär  im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), über die Herausforderungen vor Ort und den Beitrag Deutschlands gesprochen.

AWE: Herr Staatssekretär, der russische Angriffskrieg in der Ukraine wird weiter fortgeführt, gleichzeitig laufen Vorbereitungen für den Wiederaufbau, beispielsweise in Form der „Plattform Wiederaufbau Ukraine" der Bundesregierung an. Warum ist es wichtig, sich jetzt schon auf das Thema Wiederaufbau zu fokussieren? 

Jochen Flasbarth: Der Wiederaufbau der Ukraine wird für das Land, seine Menschen und für uns als internationale Gemeinschaft eine Mammutaufgabe sein. Und er beginnt bereits jetzt, auch wenn leider noch kein Ende des Krieges in Sicht ist. Diese langfristige Perspektive und frühzeitige Planung ist wichtig. Wir wollen den Menschen in der Ukraine zeigen, dass wir auch weiterhin solidarisch an ihrer Seite stehen. Und wir müssen darauf achten, dass unsere kurzfristige Unterstützung zum langfristigen Wiederaufbau passt.

Hier sind gesamte Gesellschaften gefragt. In Deutschland erleben wir eine beeindruckende Bereitschaft, sich für den Wiederaufbau der Ukraine zu engagieren. Viele Vereine, Kommunen, Krankenhäuser und Schulen wenden sich an uns mit der Frage: Wie kann ich helfen? Dafür hat die Bundesregierung die „Plattform Wiederaufbau Ukraine" ins Leben gerufen. Mit der Plattform wollen wir alle am Wiederaufbau beteiligten Akteurinnen und Akteure aus Zivilgesellschaft, Kommunen, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenbringen, sie vernetzen und ihnen die Möglichkeit zum Austausch bieten. Über die Webseite der Plattform erhalten sie Informationen zu Fördermöglichkeiten und Mitmachangeboten.

AWE: Die Aufgabe ist gewaltig und komplex. Worauf kommt es beim Wiederaufbau in der Ukraine besonders an? Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden?

Jochen Flasbarth: Die Ukraine beginnt bereits jetzt mit dem Wiederaufbau, weil sie an eine bessere Zukunft glaubt. Die Menschen warten nicht, bis der Krieg vorbei ist, sie reparieren unermüdlich die Schäden. Ich habe bei meiner Reise in die Ukraine Ende April die Wohnhäuser in Irpin gesehen, die bereits wieder repariert werden, damit die Menschen ein Dach über dem Kopf haben. Ich habe in Borodyanka mit ukrainischen Unternehmen gesprochen, die mit unserer Hilfe weiter produzieren und Menschen beschäftigen können. Diese unmittelbar wirksamen Hilfen setzen ein wichtiges Zeichen für die Menschen vor Ort. Aber es ist genauso wichtig, dass wir auch jetzt schon an die Zeit nach dem Krieg denken, und gemeinsam mit der Ukraine einen nachhaltigen, inklusiven und reformorientierten Wiederaufbau auf dem Weg in die EU planen. Deutschland unterstützt diesen Weg mit der ganzen Vielfalt der Instrumente der Bundesregierung und bindet dabei auch Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft ein. Unsere Investitionen in nachhaltige Lösungen für Wohnraum, in eine starke ukrainische Wirtschaft, Verwaltungsreformen und eine von Russland unabhängige Energieversorgung der Ukraine sind eine Investition in die Zukunft Europas. Denn eine wirtschaftlich starke Ukraine wird auch ein wichtiger Pfeiler unseres gesamten europäischen Wohlstandes sein.

AWE: Viele deutsche Unternehmen sind ihren ukrainischen Partnern weiterhin verbunden, ausreichen wird dieses Engagement für den wirtschaftlichen Aufbau aber nicht. Wie können die Bemühungen der Wirtschaft unterstützt werden? Welches Angebot macht das BMZ im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft?

Jochen Flasbarth: Mein Eindruck aus Gesprächen in und um Kiew ist: Die ukrainischen Unternehmen werden durch den Krieg stark belastet, viele kämpfen um ihr wirtschaftliches Überleben. Andere können sogar noch mehr investieren, sind aber mit enormen Zinsraten konfrontiert. Es braucht gezielte Unterstützungsangebote für ukrainische Unternehmen, und das Aufrechterhalten von Investitionen und geschäftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern. Als staatliche Geber unterstützen wir die ukrainische Regierung dabei, einen guten Rahmen zu schaffen, damit ukrainische Unternehmen ihre Geschäfte weiterführen können, internationale Unternehmen in der Ukraine bleiben und sogar neue hinzukommen, um in den Wiederaufbau zu investieren. Wir als Bundesregierung können beitragen, indem wir Risiken abfedern, die ein deutsches Unternehmen nicht tragen kann. Und indem wir Hilfsangebote für die ukrainische Wirtschaft machen. Ein Beispiel ist der Zugang zu Finanzmitteln für ukrainische Unternehmen, den wir über Fonds der KfW auch in der Kriegssituation weiter ermöglichen. Auch die Garantieinstrumente der Bundesregierung laufen unter der Ägide des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) weiter. 

AWE: Der Wiederaufbau der Ukraine ist auch eine Frage der Geberkoordination. Wie fügt sich das deutsche Engagement in die Maßnahmen der EU und welche wichtigen Formate zur Koordinierung gibt es?

Jochen Flasbarth: Genau dafür haben wir unter deutschem G7-Vorsitz die internationale Geberkoordinierungsplattform ins Leben gerufen. Ich setze mich dort als Vertreter der Bundesregierung für ein breites und gut abgestimmtes Engagement der internationalen Gemeinschaft für den reformorientierten Wiederaufbau der Ukraine ein. Dafür schmieden wir eine Allianz von Geberländern, internationalen Finanzinstitutionen und Organisationen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam mit der EU, den G7 und der Ukraine. Über die internationale Geberkoordinierungsplattform für die Ukraine werden bestehende Unterstützungsmechanismen zusammengeführt, zum Beispiel die Unterstützung für die Energie-Infrastruktur, kurzfristige Liquiditätshilfen und Vorbereitungen für den Wiederaufbau. Diese koordinierte Unterstützung soll die Ukraine auch in ihrer Reformagenda Richtung EU bestärken und eine gezielte Einbindung des Privatsektors in den Wiederaufbau anregen. 

AWE: Die Ukraine ist seit vielen Jahren Partnerland des BMZ – an welche erreichten Erfolge kann man nun beim Thema Wiederaufbau anknüpfen? 

Jochen Flasbarth: Mit der Ukraine verbinden uns 21 Jahre gemeinsame Entwicklungszusammenarbeit. Seit 2014, nach den Maidan-Protesten und dem Beginn des Konflikts in der Ost-Ukraine, hat das BMZ die Zusammenarbeit deutlich intensiviert. Schon vor 2022 gehörte Deutschland zu den weltweit größten Gebern ziviler Unterstützung. Bis zum Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 haben wir mit der Ukraine in mehreren Bereichen zusammengearbeitet, darunter insbesondere Themen wie Gute Regierungsführung und Stärkung der Kommunen, Stabilisierung der Ost-Ukraine, Modernisierung des Stromnetzes und Förderung von Energieeffizienz, nachhaltige Stadtentwicklung, sowie Berufsbildung und nachhaltige Wirtschaftsförderung. Über viele Jahre haben wir Kontakte zu Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, zu Nichtregierungsorganisationen und natürlich auch zur Regierung aufgebaut. Diese Kontakte sind jetzt sehr wertvoll, um genau dort zu unterstützen, wo Hilfe am meisten gebraucht wird. So hat uns unsere langjährige Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Katastrophenschutz ermöglicht, schnell technische Geräte zu liefern, die Leben retten. Und auch unsere Zusammenarbeit im Energiesektor zahlt sich aus: Wir haben in die Ausbildung von Menschen investiert, die nun kritische Infrastruktur reparieren und Netze wieder aufbauen können.

AWE: Ein wichtiges Stichwort ist „building back better" – welche Themen geraten besonders in den Blick, wenn es um faire, ökologische und moderne Strukturen beim Wiederaufbau geht?

Jochen Flasbarth: Ein wichtiges Thema ist – nicht nur bei uns in Deutschland, sondern gerade in der Ukraine – das Thema Energieeffizienz. Ukrainische Unternehmen haben vor dem Krieg durchschnittlich erheblich mehr Energie für ein Produkt eingesetzt als europäische Unternehmen. Das ist nur vor dem Hintergrund sehr geringer Energiekosten wirtschaftlich, die es schon jetzt so nicht mehr gibt. Beim Wiederaufbau des produzierenden Gewerbes wird es so sein, dass Investitionen gleich in energieeffiziente Techniken fließen. Das ist sowohl ökologisch als auch finanziell nachhaltiger und sorgt dafür, dass wettbewerbsfähig produziert werden kann. 

Hinzu kommt, dass sich die Ukraine zum Weg in die EU entschieden hat. Die Ukraine muss sich an europäische Effizienzstandards annähern und ihre Regularien darauf ausrichten. Einige Schritte in diese Richtung wurden schon vor Februar 2022 unternommen, auch mit Unterstützung des BMZ. Ein weiterer Punkt ist die Energiesicherheit. Hier sehe ich eine Tendenz zu kleinerer erneuerbarer Energieerzeugung und dezentraleren Lösungen zur Übertragung von Energie. Wichtig wird sein, dass sich einerseits Investitionen rechnen, andererseits die ukrainische Bevölkerung nicht durch hohe Energietarife überfordert wird. Auch dafür ist der energieeffiziente Wiederaufbau von Wohngebäuden wichtig, denn das kann die Energiekosten der Bürgerinnen und Bürger senken. Dabei kann schon der Einbau von relativ einfacher Regelungstechnik wie Thermostaten helfen, die zum Bauzeitpunkt vieler Gebäude nicht der Standard war.

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Carolin Welzel

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