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Moderne Sklaverei, Gleichberechtigung und Kinderrechte am Traumstrand

Wer geschäftlich oder privat verreist, denkt vielleicht nicht zuerst an Menschenrechte. Doch die Auswirkungen der Tourismusbranche auf die Bedingungen vor Ort können ganz erheblich sein. Als Ergebnis eines Multistakeholder-Dialoges zwischen Reiseveranstaltern und Nichtregierungsorganisationen wurde 2012 der Roundtable Human Rights in Tourism mit dem Ziel gegründet, die UN- Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte im Tourismus umzusetzen und zu diesem Zweck einen Leitfaden für Reiseveranstalter und weitere Handreichungen zu erstellen. Heute ist es ein gemeinnütziger Verein, der viele Stakeholder zusammenbringt.

Helpdesk WiMR: Wie arbeitet der Roundtable Human Rights in Tourism und was sind die Ziele?

Jara Schreiber: Der Roundtable Human Rights in Tourism ist eine internationale Multi-Stakeholder Initiative mit aktuell 33 Mitgliedern aus sechs europäischen Ländern. Zu den Mitgliedern zählen neben Reiseveranstaltern und Nichtregierungsorganisationen auch Verbände, Zertifizierer und Multiplikatoren. Der Roundtable ist Impulsgeber und vertrauenswürdiges Netzwerk, um sich für die Einhaltung der Menschenrechte im Tourismus einzusetzen.

Reiseveranstalter werden durch den Roundtable konkret bei der Umsetzung erster Schritte zur menschenrechtlichen Sorgfaltsplicht im eigenen Unternehmen, in der Lieferkette und in den Destinationen unterstützt. Dazu gehören u.a. die Entwicklung von Menschenrechtsstrategien und unternehmerischen Risikoanalysen. Regelmäßig veranstaltet der Roundtable Webinare, entwickelt tourismusspezifische Schulungsangebote und -materialien, bündelt relevantes Fachwissen und ermöglicht gemeinsame Projekte.

Helpdesk WiMR: Vor welchen menschenrechtlichen Herausforderungen steht die Tourismusbranche? Was macht sie so komplex?

Schreiber: Tourismus-Unternehmen haben oft sehr lange Lieferketten, die kleinteilig, international und äußerst personen- und dienstleistungsbasiert sind. Es gibt eine Vielzahl an Überschneidungen mit anderen Branchen, wie beispielsweise dem Luftverkehr oder dem Gastgewerbe. Die Tourismusbranche ist zudem sehr saisonabhängig, was zu einem hohen Anteil an Gelegenheitsarbeitsverträgen und Saisonarbeitskräften, auch bei Subunternehmern, führt.

Eine Reise bringt die Kund:innen „zum Produkt“ und nutzt die natürlichen Gegebenheiten, Kultur und Infrastruktur in den Destinationen, was zu vielen Kontaktpunkten aber auch Konflikten mit der lokalen Bevölkerung führen kann. All das macht die Tourismusbranche komplex und die Risiken in Bezug auf Menschenrechte äußerst vielfältig. Zu den Themenfeldern gehören beispielsweise Arbeitsrechte und moderne Sklaverei, Gleichberechtigung und Kinderrechte, aber auch Risiken für lokale Gemeinden in Bezug auf kulturelle Identität oder Umweltverschmutzung. 

Jara Schreiber ist Projektkoordinatorin beim Roundtable Human Rights in Tourism.

Helpdesk WiMR:  Sehen Sie aktuelle Entwicklungen, die in den letzten Jahren die menschenrechtliche Lage in der Tourismusbranche verändert haben – sowohl zum Positiven als auch zum Negativen seitens der Wirtschaft, Politik und/oder Zivilgesellschaft?

Schreiber: Die Pandemie hat zu einer Verschärfung der Menschenrechtssituation überall auf der Welt geführt, vor allem für besonders verletzliche Personengruppen. Krisen wie die COVID-Pandemie und auch der Krieg gegen die Ukraine zeigen, wie vulnerabel der Tourismussektor ist. Ereignisse wie diese erfordern Umdenken und stellen bestehende Wertschöpfungsketten und Unternehmensstrategien auf den Prüfstand. Viele Unternehmen begreifen das aber auch als Chance, sich nachhaltiger aufzustellen und Reiseveranstalter stehen vor umfassenden Neustrukturierungen, um resilienter zu werden. Dabei muss die Achtung der Menschenrechte entlang der Lieferkette als essenzieller Teil davon begriffen und entsprechende Maßnahmen auf strategischer und operationeller Ebene integriert werden.  

Mit der Verabschiedung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes in Deutschland wird Unternehmen dafür nun auch ein verbindlicher Handlungsrahmen zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gegeben. Auch wenn das Gesetz die meisten Tourismusunternehmen nicht direkt betrifft – die Branche ist ja sehr vom Mittelstand geprägt – führt es dennoch dazu, dass das Thema Lieferketten von vielen touristischen Unternehmen eine gesteigerte Aufmerksamkeit erhält. Mit der geplanten Verabschiedung eines noch umfassenderen Gesetzes auf EU-Ebene und weiteren Initiativen weltweit wird diese Entwicklung weiter gehen. 

Helpdesk WiMR: Welche Lösungsansätze sehen Sie für Unternehmen? Wo können und wo sollten sie anfangen? Was wollen Sie Unternehmen auf den Weg geben?

Schreiber: Die gute Nachricht ist, dass Unternehmen in der Regel ja nicht bei null anfangen, da oftmals schon eine Reihe von entsprechenden Maßnahmen zur Implementierung von Nachhaltigkeit im Geschäftsablauf existieren. Es ist wichtig, die individuelle Lieferkette und seine Partner:innen zu kennen und aktiv einzubeziehen, damit menschenrechtliche Risiken erkannt und entsprechende Maßnahmen systematisch angepasst oder ergänzt werden können. Für die eigene oder kollektive Umsetzung von Themen gibt es zahlreiche Unterstützungsangebote und Vernetzungsmöglichkeiten. 
Einen guten ersten Überblick bietet der kostenfreie CSR Risiko-Check von UPJ, MVO und dem Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte, einem Unterstützungsangebot der Bundesregierung. Diese umfassende interaktive Datenbank zeigt menschenrechtliche Herausforderungen für zahlreiche Branchen auf – darunter auch Tourismus und Gastronomie – und benennt Lösungsansätze sowie weiterführende Quellen. 

Das digitale „Get Started Tool“ des Roundtable Human Rights in Tourism zeigt menschenrechtliche Risiken entlang der touristischen Lieferkette auf und bietet reale Fallbeispiele, Vorlagen und Ressourcen, die Reiseveranstalter bei der Ermittlung und der Planung individuell geeigneter Maßnahmen unterstützen. Das Tool sowie alle Publikationen und Webinare, die Mediathek und weitere Informationen sind frei auf der Webseite verfügbar. Eine Mitgliedschaft im Roundtable ermöglicht zudem vertieften Austausch mit anderen Akteur:innen zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfalt, Kooperationen und gemeinsame Projekte, einen monatlichen Newsletter sowie persönliche Unterstützung. 

Uns ist bewusst: Das klingt alles ersteimal sperrig und kompliziert. Aber schon kleine Änderungen, können große positive Auswirkungen haben. Und letztendlich gibt es auch einen ganz klaren Business Case für die Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfalt: Sie unterstützt eine nachhaltige Tourismusentwicklung, Kundenzufriedenheit und -sicherheit und damit unmittelbar auch langfristigen unternehmerischen Erfolg. Wer existenzsichernde Löhne zahlt und faire Arbeitsbedingungen schafft, erhöht die Zufriedenheit, verringert Fachkräftefluktuation und verbessert so sein Produkt. Wer sich vor Ort engagiert und durch engen Austausch mit verschiedenen lokalen Akteuren die gegebenen Herausforderungen kennt und angeht, wird seinen Kunden positive Erlebnisse ermöglichen.

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