„Die Ukraine bietet viele Geschäfts- und Investitionsmöglichkeiten.“
Trotz anhaltender russischer Angriffe hat der Wiederaufbau der Ukraine bereits begonnen. Dadurch eröffnen sich auch für deutsche Unternehmen umfangreiche Geschäfts- und Investitionsmöglichkeiten.
Anna Derevyanko, Executive Director der ukrainischen European Business Association, berichtet im Gespräch über die Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Wirtschaft sowie über Chancen und Herausforderungen für Unternehmen, die weiterhin in der Ukraine tätig sind.
AWE: Der Tag der Industrie des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) steht in diesem Jahr im Zeichen mehrerer Krisen, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf eine harte Probe stellen. Was erwarten Sie von der Veranstaltung im Hinblick auf die Situation in der Ukraine?
Anna Derevyanko: Wir gehen davon aus, dass sich die ukrainische Wirtschaft allmählich erholen wird. Es wäre also gut, eine proaktive Reaktion auf diese Entwicklung seitens der internationalen Gemeinschaft zu sehen – durch die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Unterstützung von Geschäfts- und Investitionsprozessen im Land.
Am Anfang des Krieges hat die Ukraine ihren Belastungstest bestanden: Bankensystem, Telekommunikation und Unternehmen haben gezeigt, dass sie unabhängig von der Situation im Land arbeiten können. Die Wirtschaft schrumpfte während dieser Kriegszeit zwar stark, dennoch haben die Unternehmen eine enorme Widerstandsfähigkeit gezeigt und bewiesen, dass sie weiterhin auf dem ukrainischen Markt tätig sein können. Einige werden sogar weiterhin investieren. Die Ukraine bietet viele Geschäfts- und Investitionsmöglichkeiten, auch für deutsche Unternehmen.
AWE: Seit über einem Jahr ist die Ukraine in einen ungewollten Krieg verwickelt. Trotz anhaltender Angriffe seitens Russlands hat der Wiederaufbau der Ukraine bereits begonnen. In welchen Bereichen sehen Sie Potenzial für deutsche und europäische Unternehmen?
Derevyanko: Derzeit wird das Potenzial für den Wiederaufbau der Ukraine auf 415 Milliarden US-Dollar geschätzt. Vielversprechende Branchen sind unter anderem Landwirtschaft, IT, Logistik und Infrastruktur, Energie, Bauwesen oder Verteidigung. Ich glaube, all diese Branchen sind potenziell interessant für deutsche und europäische Unternehmen.
AWE: Wie unterstützt die European Business Association Unternehmen bei Investitions- oder Handelsaktivitäten in der Ukraine?
Derevyanko: Generell bieten wir Unternehmen, die in der Ukraine tätig sind, eine zuverlässige Interessenvertretung vor Ort, individuelle und berufliche Weiterentwicklung ihrer Beschäftigten, Networking-Angebote sowie weitere Beratungsleistungen. So sind Unternehmen in der Lage, sich sowohl im Land weiterzuentwickeln als auch weltweit zu expandieren.
Als der Krieg begann, haben wir jedoch festgestellt, dass global expandierende Unternehmen dennoch auf dem ukrainischen Markt tätig bleiben wollen. Daher haben wir im letzten Jahr die Initiative „Global Business for Ukraine“ (GB4U) gestartet. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um eine Fortführung der European Business Association, jedoch auf globaler Ebene. Als GB4U teilen wir Informationen über die Ukraine, das Geschäftsklima, Investitionsdetails in bestimmten Sektoren und mögliche Partnerinnen und Partner, um Unternehmen den Markteintritt in die Ukraine zu erleichtern. Unsere Mission besteht darin, Investitionen und Geschäfte in die Ukraine zu locken.
Vor drei Monaten haben wir darüber hinaus die Investmentkarte der Ukraine erstellt, um das Investitionspotenzial praktisch darzustellen und neue Investitionen für das Land zu gewinnen. Die Karte zeigt Projekte mit Investitionsbedarf sowie Wiederaufbauprojekte von Gemeinden. Deutschen und europäischen Unternehmen kann ich diese Karte nur ans Herz legen.
AWE: Gibt es deutsche Unternehmen, die trotz der herausfordernden Bedingungen ihre Geschäftstätigkeiten in der Ukraine in den letzten Monaten ausgeweitet oder neu etabliert haben? Wenn ja, in welchen Branchen und Regionen sind sie aktiv?
Anna Derevyanko: Laut einer Umfrage der European Business Association planen 63 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen, selbst während des Krieges zu investieren. Dazu kommt, dass die Investitionsdynamik im letzten Jahr nicht so kritisch ausgefallen ist, wie man es erwartet hätte. Derzeit sehen wir bereits, wie Unternehmen – darunter auch deutsche – Millionen von Euro in die Ukraine investieren, zum Beispiel Nestlé, Bayer, Kingspan, Unilever, Nibulon und viele mehr. Die Investitionen konzentrieren sich hauptsächlich auf zentrale oder westliche Landesteile, aber es gibt auch andere Regionen mit Potenzial. Das wird auf der Investitionskarte deutlich.
AWE: Wie kann der Wiederaufbau so organisiert und gestaltet werden, dass die Ukraine gestärkt aus dem Krieg hervorgeht? Welche Bereiche und Handlungsfelder sind in diesem Zusammenhang besonders relevant?
Anna Derevyanko: Der erste und wichtigste Schritt ist die konkrete Planung: Wer kümmert sich um was? Wer wird dafür bezahlen? In dieser Hinsicht ruhen viele Erwartungen auf der ukrainischen Wiederaufbaukonferenz in London. Wir hoffen, dass zur Unterstützung der Wirtschaft konkrete Instrumente wie zum Beispiel Investitionsversicherungen vorgestellt werden. Denn wir sehen heute, dass nur wenige Länder bereits konkrete Instrumente umgesetzt haben. Dazu gehören Deutschland, Polen und die USA. Andere Länder denken noch darüber nach, haben aber noch nichts Konkretes beschlossen.
Zweifelsohne gibt es Branchen mit großem Potenzial für den Wiederaufbau. Ich will jedoch sagen, dass jedes in der Ukraine tätige Unternehmen einen Mehrwert für das Land und die Wirtschaft bedeutet. Daher ist die Ukraine offen und begrüßt jede Art von Unternehmen!
AWE-Webtalk beim Tag der Deutschen Industrie 2023 (ab Minute 12:27)
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