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Frugale Innovation – Do more with less

Eine Person hält ein Messgerät.

Im Interview erklärt Dr. Markus Thill (Bosch), wie Unternehmen mithilfe von frugalen Innovationen Potenziale afrikanischer Märkte erschließen, und gleichzeitig zur nachhaltigen Entwicklung vor Ort beitragen können. 

„Weniger ist mehr“, „Smart Simplicity“ oder „Jugaad“: Frugale Innovation tritt unter vielen Namen auf.  Gemeint sind Produkte und Dienstleistungen, die auf ihre wesentlichen Kernfunktionen fokussiert sind. Im Vergleich mit herkömmlichen Produkten sind sie oft robuster, ressourcenschonender und können zu einem geringeren Preis verkauft werden. Damit bieten sie großes Potenzial für den Einsatz in Entwicklungs- und Schwellenländern: Weltweit verfügen rund vier Milliarden Menschen über weniger als 3.000 US-Dollar im Jahr.  Sie bilden die sogenannte „Base of the pyramid“ (BoP) und sind derzeit nicht in globale Wertschöpfungsketten eingebunden. Frugale Innovationen können dazu dienen, diese bisher kaum berücksichtigten Bevölkerungsschichten in die Wertschöpfung zu integrieren, Absatzmärkte der Zukunft zu erschließen und dabei konkrete entwicklungspolitische Herausforderungen zu lösen. 

In Afrika praktiziert die Robert Bosch GmbH diesen Ansatz bereits seit Jahren erfolgreich. Dr. Markus Thill, bei Bosch verantwortlich für die Region Afrika, erklärt im Interview, wie Bosch beim Thema frugale Innovation vorgeht und was andere Unternehmen davon lernen können. 

Portrait von Markus Thill
Dr. Markus Thill, President Region Africa, Robert Bosch GmbH.

AWE: Was bedeutet frugale Innovation für Sie?

Dr. Markus Thill: Frugale Innovationen sind Innovationen, die mit einem Minimum an Aufwand oder Funktionalität den maximalen Effekt erzielen.

AWE: Wie sieht das bei Bosch in der Praxis aus?

Thill: Zu Beginn der Covid-19-Pandemie im März 2020 hat sich Bosch in Südafrika an einem Konsortium zur Entwicklung und Herstellung von Beatmungsgeräten beteiligt. Diese Beatmungsgeräte sollten zielgerichtet an die Gegebenheiten in Entwicklungsländern angepasst sein: Robust, nahezu vollständig lokal herstellbar, rein mechanisch und ohne Elektrizität nutzbar, einfach aufzubauen und zu bedienen und nicht zuletzt zu einem sehr attraktiven Preis verfügbar. Dies ist uns mithilfe eines Design-Thinking-Prozesses, einer mehrstufigen, kundenzentrierten und kreativen Innovationsmethode, gelungen. Die praktische Entwicklung erfolgte in sehr kurzen Sprints von oft 24 Stunden unter Einbeziehung aller Stakeholder, insbesondere der Endnutzer; innerhalb weniger Wochen konnten so neue Lösungen generiert werden. 

Ein weiteres Beispiel ist unser Ranger-Programm mit Elektrowerkzeugen. In diesem Fall handelt es sich nicht um eine Produkt-, sondern eine Geschäftsmodellinnovation: Unser ursprünglicher Plan sah vor, Handwerkern, die in Kenia im informellen Sektor tätig sind, Elektrowerkzeuge zur Verfügung zu stellen. Dafür platzierten wir vor Ort Container als Verkaufsstandorte. Wir haben allerdings festgestellt, dass selbst eine Entfernung von wenigen hundert Metern viele kenianische Handwerker davon abhielt, unser Angebot zu nutzen. Daher sind wir dazu übergegangen, unsere Ranger auf Motorrädern zu den möglichen Nutzern zu senden: Vor Ort erklären die Ranger die Vorteile unserer Elektrowerkzeuge gegenüber Handwerkzeugen und sind in der Lage, Bestellungen von Neukunden direkt aufzunehmen, Werkzeuge zu liefern und die Bezahlung per Smartphone abzuwickeln. 

AWE: Wie können frugale Innovationen zur nachhaltigen Entwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern beitragen?

Thill: Wesentlich sind Innovationen, die Herausforderungen der Kunden adressieren, die keinen Zugang zu „nicht frugalen“ Lösungen haben und damit auf günstige Produkte angewiesen sind. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die bereits erwähnte „Base of the pyramid“ (BoP), also die vier Milliarden Menschen, die über weniger als 3.000 US-Dollar im Jahr verfügen und bisher auf den globalen Märkten kaum berücksichtigt werden. 

Aktuell wird lediglich ein geringer Anteil der formellen Wertschöpfung durch die BoP erbracht. Ein wesentliches Element zur nachhaltigen Entwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern ist es, diese informellen Geschäftsaktivitäten in die „formale“ Wirtschaft zu integrieren. Neben der Lösung klassischer entwicklungspolitischer Herausforderungen, wie der Gesundheits- oder Energieversorgung, können frugale Innovationen dazu dienen, die Produktivität der Arbeit zu erhöhen und damit die Gesellschaft insgesamt auf einen höheren Lebensstandard bringen. 

Dies lässt sich gut an dem Beispiel des Ranger-Programms beobachten: Der Umstieg auf Elektrowerkzeuge steigert in hohem Maße die Produktivität der Arbeit und bietet lokalen Handwerkern deutlich bessere Verdienstmöglichkeiten. 

AWE: Welche Rolle spielen dabei lokale Start-ups?

Thill: Lokale Start-ups können für uns interessante Partner sein, um gezielt lokale Herausforderungen zu lösen. Dies gilt vor allem dann, wenn sie globale Lösungsexpertise und lokales Problemverständnis mitbringen. Wir nutzen solche Kooperationen deshalb auch gezielt für unsere Geschäftsentwicklung. 

AWE: Wo liegen die größten Herausforderungen bei frugalen Innovationsprozessen?

Thill: Wenn Sie die meisten Afrikaner fragen, würden sie wahrscheinlich antworten, dass es bis auf die Finanzierung keine Herausforderungen gibt, da sie sich mit Frugalität im Alltagsleben auskennen. Bei deutschen Unternehmen sieht das oft anders aus: Ein wesentliches Kriterium bei der Entwicklung frugaler Innovation ist die Anpassung der Lösung an den lokalen Kontext. Diese Perspektive fehlt vielen Unternehmen, die ihre Produkte in Deutschland im Labor entwickeln. Einige meiner Mathematikprofessoren pflegten zu sagen, dass der einfachste und nicht der komplexeste Beweis in der Regel als der eleganteste erachtet wird. Mein erster Experimentalprofessor meinte, dass wir Physiker mindestens einmal pro Jahr in den Kindergarten gehen sollten, um wieder zu erlernen, wie man Probleme angeht, da unser Verständnis von Problemlösung mit der Zeit viel zu kompliziert geworden sei. In Unternehmen wäre es aus meiner Sicht gut, wenn die Verantwortlichen sich die Bemerkungen meiner Professoren zu Herzen nähmen. Dieses Prinzip lässt sich nicht nur auf Entwicklungs- und Schwellenländer, sondern auch auf reife Märkte übertragen. 

AWE: Was würden Sie einem Unternehmen raten, das sich für frugale Innovation interessiert?

Thill: Ich würde ihm raten, seine Innovationsprozesse auf die Problemstellung auszurichten. Wie das Beispiel mit den Beatmungsgeräten zeigt, können auch etablierte Unternehmen mit dem richtigen Ansatz „frugal“ innovieren: Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist ein mit den Endnutzern und Finanziers eng verzahnter Innovationsprozess. Eine besonders geeignete Methode ist Design Thinking mit kurzen Sprints, die genau das entwickeln, was das Problem löst - nicht mehr und nicht weniger. Das hat auch schon Apple in den 1990er Jahren beim Turnaround in reifen Märkten vorgemacht.

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Bastian Geyer

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