Sicherheit, Entwicklung und Wohlstand hängen eng miteinander zusammen. Dr. Marc von Boemcken leitet den Forschungsbereich des Bonn International Center for Conflict Studies (bicc). Im Interview erklärt der Friedensforscher, wie international agierende Unternehmen dazu beitragen können, dass das weltwirtschaftliche und geopolitische Umfeld sicherer wird – für Unternehmen im globalen Süden ebenso wie hierzulande.
„Keine Sicherheit ohne Entwicklung, und keine Entwicklung ohne Sicherheit."

Redaktion: Herr von Boemcken, kaum ein Thema wird derzeit so intensiv diskutiert wie die Frage, wie sich die globale Sicherheitslage stabilisieren lässt. Auch für die exportorientierten deutschen Unternehmen ist das ein ganz wichtiger Aspekt: Handelskonflikte und geopolitische Konflikte bremsen die Wirtschaft – und erschweren die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Welchen Beitrag kann internationale Entwicklungszusammenarbeit leisten, damit die Welt wieder sicherer wird?
Von Boemcken: Wir wissen aus der Forschung, dass Investitionen in eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung positiv auf die Sicherheitslage wirken. Es gibt seit vielen Jahren in der internationalen Zusammenarbeit das Mantra: Keine Sicherheit ohne Entwicklung, und keine Entwicklung ohne Sicherheit. So ist es auch in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, den Sustainable Development Goals, formuliert. Das kann man so interpretieren: Für eine florierende Wirtschaft braucht es eine stabile, sichere Gesellschaft. Umgekehrt trägt eine florierende Wirtschaft zu eben einer solchen stabilen und sicheren Gesellschaft bei. Wichtig ist aber auch: Wirtschaftswachstum allein ist noch lange kein Garant für Frieden und Sicherheit.
Redaktion: Worauf kommt es an, damit die wirtschaftliche Entwicklung positiv auf die Sicherheitslage wirkt?
Von Boemcken: Es braucht Einkommensgerechtigkeit, auch zwischen den Geschlechtern, Zugang zu Bildung und Gesundheitsleistungen für alle Bevölkerungsgruppen. Schließlich gibt es eine Spannung zwischen Wirtschaftswachstum um jeden Preis und ökologischer Nachhaltigkeit. Das gilt es, bei der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung zu berücksichtigen.
Die Schere öffnet sich wieder
Redaktion: Aufmerksame Beobachter stellen fest, dass aktuell mehr Geld in den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit fließt und gleichzeitig die Investitionen in die internationale Zusammenarbeit und Entwicklung sinken ...
Von Boemcken: Das ist richtig. Wenn wir uns die aktuelle Situation anschauen, sehen wir in der Tat, dass die Schere zwischen den Ausgaben für Verteidigung und den Ausgaben für die internationale Zusammenarbeit weiter auseinandergeht. Die addierten Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit (ODA) aller 38 OECD-Länder betrugen 2024 etwa 208 Milliarden US-Dollar (Quelle). Zum Vergleich: Die gleichen 38 Länder investierten im selben Jahr 1.680 Milliarden US-Dollar in ihr Militär. Für jeden Dollar, der für Entwicklung ausgegeben wird, werden also in der OECD aktuell acht Dollar ins Militär gesteckt.
Redaktion:Aktuell kürzen viele Länder die Entwicklungsausgaben, die Schere geht also weiter auseinander.
Von Boemcken: So ist es. Wir sollten aber auch sehen, dass das ein recht junger Trend ist. Die historische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte ging in die entgegengesetzte Richtung. Im Jahr 2000 etwa wurden für jeden Dollar, der in Entwicklungshilfe floss, noch 12 US-Dollar für das Militär ausgegeben. 1965 – also ein paar Jahre nach Gründung der OECD und mitten im Kalten Krieg – waren es mit 15 US-Dollar noch deutlich mehr. In den vergangenen Jahrzehnten war es also so, dass sich die Schere zwischen Entwicklungs- und Verteidigungsausgaben eher geschlossen hat. Jetzt öffnet sie sich wieder. Vom Niveau des Kalten Krieges sind wir heute aber weit entfernt, allen aktuellen Kürzungen der Entwicklungsausgaben zum Trotz.
Von guter Entwicklungspolitik profitieren beide: Partnerländer und Wirtschaft
Redaktion: Welche Folgen hat es für die Wirtschaft, wenn die internationale Zusammenarbeit nun tendenziell weniger im Fokus steht? Zu welchen Erkenntnissen kommt hier die Friedensforschung?
Von Boemcken: Wir wissen, dass gute Entwicklungspolitik nicht nur Wirtschaftswachstum in Partnerländern fördert, sondern auch – eben aus diesem Grund – förderlich ist für die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit sind demnach keine gute Nachricht für die Wirtschaft, weder in den Partnerländern noch in den Geberländern.
Redaktion: Die parallel steigenden Investitionen in die Verteidigungsindustrie könnten aber auch die Wirtschaft ankurbeln – gleichen die steigenden Verteidigungsausgaben den dämpfenden Effekt der Kürzungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit auf die Wirtschaft also womöglich aus?
Von Boemcken: Diese Frage ist schwieriger zu beantworten, die Forschungsbefunde sind hier uneinheitlich. Einige Untersuchungen legen nahe, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Erhöhung von Militärausgaben und höherem Wirtschaftswachstum gibt. Heimische Rüstungsindustrien profitieren zum Beispiel direkt von diesen Investitionen. Innovationen in militärische Forschung und Entwicklung „schwappen“ zudem womöglich in den zivilen Bereich über und sorgen so für neue wirtschaftliche Dynamik. Andere wissenschaftliche Studien zeigen wiederum das Gegenteil – insbesondere für die Wirtschaft in den Entwicklungsländern. Wir am bicc haben in einer vor kurzem veröffentlichten Studie 134 aktuelle, empirische quantitative Analysen zu den sozialen Effekten der Steigerung von Militärausgaben ausgewertet. Das Ergebnis: Die allermeisten wissenschaftlichen Studien zeigen einen negativen Effekt von gesteigerten Militärausgaben auf das Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern.
Militärausgaben erhöhen Auslandsverschuldung oder verringern Investitionen
Redaktion: Worin begründet sich dieser negative Effekt auf das Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern?
Von Boemcken: Die Ausgaben für das Militär hätten ja auch in zivile Bereiche fließen können – dort fehlt nun das Geld. Stattdessen geben die Länder es für neue Waffensysteme aus, die sie meist im Ausland kaufen müssen. In der Regel können sie diese nur durch eine Erhöhung der Auslandsverschuldung oder durch Verringerung der Investitionen in andere öffentliche Sektoren wie Bildung oder Gesundheit finanzieren.
Redaktion: Und was sagen die Studien, die zum gegenteiligen Ergebnis kommen?
Von Boemcken: In den wenigen Studien, die zeigen konnten, dass eine Erhöhung der Militärausgaben auch in ärmeren Staaten zu einem größeren Wirtschaftswachstum geführt hat, war die Erklärung fast immer: Die Erhöhung der Militärausgaben hat einen Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit im fraglichen Land geleistet, was wiederum der wirtschaftlichen Entwicklung zugutekam.
Redaktion: Die Zusammenhänge zwischen Sicherheit, Entwicklung und Wohlstand sind also komplex. Was können international agierende Unternehmen tun, um wirtschaftliche Entwicklung und Sicherheit gleichermaßen zu stärken – und damit auch ihre eigene Geschäftsgrundlage?
Von Boemcken: Wenn Unternehmen in Entwicklungsländern aktiv sind, auch in Ländern mit Konfliktgeschichte, können sie dadurch eine friedensfördernde Wirkung entfalten. Zum Beispiel, indem sie den Menschen vor Ort neue Einkommensmöglichkeiten verschaffen oder in den Aufbau der wirtschaftlichen Infrastruktur des Landes investieren. Dabei ist es aber wichtig, sich vorher mit den Konfliktstrukturen in dem jeweiligen Land auseinanderzusetzen, und sich bewusst zu machen, was eine wirklich nachhaltig stabile Wirtschaft vor Ort braucht. Sonst könnten die Unternehmen unwissentlich sogar dazu beitragen, dass sich Konflikte weiter verstärken – etwa, indem sie zu wachsender Ungleichheit im Land beitragen.
Was Unternehmen beachten sollten
Redaktion: Was heißt das konkret für das Handeln von Unternehmen?
Von Boemcken: Unternehmen sollten in den Partnerländern zum Beispiel faire Arbeitsbedingungen schaffen, oder gewerkschaftliche Teilhabe ermöglichen. Sie können auch proaktiv gute Beziehungen zu lokalen Gemeinden in ihrer Umgebung aufbauen und diese unterstützen, etwa bei der Einstellung von Mitarbeitenden, beim Ausbau der örtlichen Infrastruktur und bei lokalen Friedensprojekten. Hier kann es für private Unternehmen sinnvoll sein, mit den erfahrenen Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit zusammenzuarbeiten, die örtliche Konfliktstrukturen kennen und wissen, wo Investitionen wirklich zu Sicherheit und Stabilität beitragen. Dadurch schützen Unternehmen auch ihre eigenen Investitionen vor Ort und tragen dazu bei, dass sie nachhaltig erfolgreich sein können.
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