Wie sicher fühlen Sie sich in der Umsetzung des Lieferkettengesetzes? 7 Mythen...

Bereits seit seiner Ankündigung polarisiert das LkSG. Auch bei der Umsetzung wirft das Gesetz immer wieder Fragen und Missverständnisse auf. Wir werfen einen Blick in die Unternehmenspraxis und räumen mit häufigen Fehlinterpretationen des LkSG auf.
Mythos 1: Das LkSG ist ein Tier-1-Gesetz und verlangt, dass man allen direkten Zulieferern jährlich einen Fragebogen zu allen Rechtspositionen schickt.
Das ist nicht richtig. Das LkSG verlangt nicht das Versenden von jährlichen Fragebögen an alle Zulieferer. Zwar verlangt das LkSG eine jährliche (sowie eine anlassbezogene) Risikoanalyse. Hierbei dürfen und sollen Unternehmen jedoch risikobasiert vorgehen. Das bedeutet, dass Zulieferer je nach Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken und Verletzungen in der Risikoanalyse untersucht werden sollen. Bei Fragebögen ist zudem zu beachten, dass Zulieferer nicht die richtigen Adressaten für alle Fragen sind. Fragen nach Policies, Prozessen und Zuständigkeiten sind bei ihnen an der richtigen Stelle. Fragen nach Rechtsverletzungen sind jedoch an (potenziell) Betroffene und ihre legitimen Interessenvertretungen zu richten.
Weiterhin ist zu beachten: Das LkSG sieht grundsätzlich Pflichten für die gesamte Lieferkette vor, d.h. Unternehmen sollen neben dem eigenen Geschäftsbereich und direkten Zulieferer auch die indirekten Zulieferer in den Blick nehmen. Zu Sorgfaltspflichten gegenüber indirekten Zulieferern kommt es erst bei sog. substantiierter Kenntnis, also tatsächlichen Anhaltspunkten, die eine Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht bei indirekten Zulieferern möglich erscheinen lassen.
Anstatt also Ihre gesamte Energie darauf zu verwenden, allen direkten Zulieferern detaillierte Fragebögen zu schicken, sollten Sie...
- ... risikobasiert vorgehen also direkte und indirekte Zulieferer nach Risikoprofil zu untersuchen und...
- ... auch Ihre Verantwortung für die tiefere Lieferkette wahrnehmen.
Mythos 2: Die Umsetzung von Sorgfaltsprozessen in der tiefen Lieferkette ist erst möglich, wenn der konkrete indirekte Zulieferer namentlich bekannt ist.
Das stimmt so nicht, da für bestimmte Maßnahmen keine vollständige Transparenz notwendig ist. Zudem führt auch die Kenntnis des Namens des Zulieferers in den meisten Fällen nicht zu effektiveren Maßnahmen, da der Einfluss von Unternehmen auf indirekte Zulieferer beschränkt ist. Risikoanalysen und Maßnahmen können also teilweise bereits umgesetzt werden, ohne den Namen des indirekten Zulieferers zu kennen.
Das kann beispielsweise so aussehen:
- Sie wissen, dass in Ihrer tiefen Lieferkette mineralische Rohstoffe oder Metalle abgebaut werden: Hier hilft Ihnen die Kenntnis in aller Regel nicht weiter, aus welcher konkreten Mine die Rohstoffe kommen , zumal sich dies laufend ändert. Ein Anruf oder eine E-Mail an eine Mine, die zehn Stufen von Ihnen entfernt in der Lieferkette ist, wird wahrscheinlich nicht zu Erfolgen führen. Stattdessen macht es Sinn, mit dem eigenen Einkaufs- und Beschaffungsverhalten insgesamt für eine Verbesserung in dieser Lieferkette zu sorgen oder sich mit anderen Unternehmen zusammenzuschließen, um die Situation vor Ort zu verbessern. Insbesondere in der tiefen Lieferkette oder wenn man nur kleine Mengen eines Zulieferers abnimmt, macht der Zusammenschluss mit anderen Sinn, um ausreichend Einfluss und mehr Effektivität durch gebündelte Anstrengungen zu erreichen.
- Ein tolles Beispiel hierfür ist der Beschwerdemechanismus der Automobilindustrie in Mexiko: https://ulula.com/mrdh-en/
Mythos 3: Wenn man nur Zulieferer in Deutschland oder der EU hat, kann es keine Risiken oder Verletzungen der menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfalt geben.
Das ist nicht richtig. Auch bei Zulieferern in der EU kann es zu Risiken und Verletzungen kommen, tatsächlich sogar in Bezug auf alle geschützten Rechtspositionen des LkSG.
Um nicht Gefahr zu laufen, Risiken und Verletzungen von Menschenrechten und Umwelt systematisch zu übersehen, ist es wichtig, Lieferanten aus Deutschland und der EU nicht vorschnell in die Gruppe der risikoarmen Lieferanten einzuordnen. Zugleich schreibt das LkSG aber einen risikobasierten Ansatz vor (siehe Mythos 1). Das bedeutet, dass Zulieferer je nach Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken und Verletzungen in der Risikoanalyse untersucht werden sollen.
Mythos 4: Das LkSG verlangt keine Stakeholder-Beteiligung.
Das stimmt nicht, die Einbindung von (potenziell) betroffenen Rechteinhabenden ist eine ausdrückliche Anforderung des LkSG. Im LkSG ist hier die Rede von der Berücksichtigung der „Interessen seiner Beschäftigten, der Beschäftigten innerhalb seiner Lieferketten und derjenigen, die in sonstiger Weise durch das wirtschaftliche Handeln des Unternehmens oder durch das wirtschaftliche Handeln eines Unternehmens in seinen Lieferketten in einer geschützten Rechtsposition unmittelbar betroffen sein können.“ Diese Anforderung ist im LkSG vor die Klammer gezogen und gilt in Bezug auf fast alle Sorgfaltspflichten.
- Die Beteiligung von Stakeholdern dient dem Ziel sicherzustellen, dass Unternehmen angemessen und wirksam ihren Sorgfaltspflichten nachkommen. Bereits bei der Risikoanalyse sind Stakeholder einzubeziehen (siehe auch Mythos 1). Zudem sind Stakeholder bei der Entwicklung von Maßnahmen, dem Wirksamkeitsmonitoring und dem Beschwerdeverfahren einzubeziehen.
- Stakeholder können auch durch Konsultation ihrer legitimen Interessenvertretungen konsultiert werden, nicht jedoch aber durch Avatare, Simulationen oder Überlegungen über ihre Situation und Bedürfnisse.
- In Zulieferbetrieben sind Beschäftigte und Mitglieder benachbarter Gemeinden systematisch einzubinden. Das ist wichtig, da sie am besten Auskunft über die Situation vor Ort geben können und so Risiken und Verletzungen identifiziert und minimiert werden können.
Mythos 5: Zulieferer können anhand des Spend aus der Risikoanalyse ausgenommen werden.
Einige Unternehmen ziehen bei der Risikoanalyse eine Spend-Grenze – das heißt, nur Zulieferer ab einem bestimmten Spend werden in die Risikoanalyse einbezogen. Diesem Vorgehen seitens der Unternehmen liegt die Fehlannahme zugrunde, dass allein aufgrund des Einflussvermögens priorisiert werden könne und der Spend Rückschluss auf das Einflussvermögen zulässt.
- Das LkSG erlaubt es nicht, nur mit Hilfe des Angemessenheitskriteriums Einflussvermögen Zulieferer für die Risikoanalyse auszuwählen. Stattdessen sieht das LkSG einen risikobasierten Ansatz vor (siehe Mythos 1).
- Der Spend allein lässt keinen Rückschluss auf das Einflussvermögen zu. Stattdessen müsste man wissen, wieviel der eigene Spend vom Gesamtumsatz des Zulieferers ausmacht. Dies ist in der Regel nicht bekannt.
- Die Einbindung aller Zulieferer und ein risikobasiertes Vorgehen in die Risikoanalyse stellt sicher, dass keine wesentlichen Risiken und Verletzungen für die Rechteinhabenden übersehen werden.
Mythos 6: Das eigene Einkaufs- und Beschaffungsverhalten spielt keine Rolle für das LkSG.
Falsch gedacht! Einkauf und Beschaffung spielen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten. Wer kurzfristige Lieferzeiten verlangt oder den Preis zu sehr drückt, kann etwa exzessive Überstunden oder prekäre Arbeitsbedingungen bei Lieferanten riskieren.
Was stattdessen zählt:
- Lernen Sie die Leistungsfähigkeit Ihrer Zulieferern kennen und berücksichtigen Sie diese in Ihren Einkaufs- und Beschaffungsprozessen.
- Kalkulieren Sie Preise fair – inklusive indirekter Arbeitskosten, umwelt- und klimabezogener Investitionen und existenzsichernder Löhne.
- Setzen Sie gezielt Anreize für Nachhaltigkeit - bei sich selbst und ihren Partnern – durch beispielsweise Intensivierung der Kundenbeziehungen.
Mythos 7: Kaskadierung heißt, Unternehmen geben ihre Pflichten einfach an die Zulieferer weiter.
Ein Irrtum mit Folgen: Wer glaubt, die Anforderungen des LkSG einfach „durchreichen“ zu können, missversteht den Kern des Gesetzes. Kaskadieren bedeutet nicht, die eigenen gesetzlichen Pflichten an Zulieferer abzuwälzen – sondern sie stufenweise und sinnvoll herunterzubrechen.
- Was das in der Praxis heißt: Unternehmen behalten ihre Verantwortung – auch wenn sie Anforderungen an Zulieferer formulieren. Gerade kleinere Lieferanten brauchen klare, realistische und unterstützende Vorgaben, keine Überforderung. Entscheidend ist: Ihr eigenes Einkaufs- und Beschaffungsverhalten muss menschenrechtliche Risiken vermeiden statt verschärfen.
- Unser Tipp: Prüfen Sie regelmäßig, wie Ihre Anforderungen wirken – und ob Sie auf Kooperation statt Kontrolle setzen. Gerade auch kleinere Lieferanten sollen sich trauen, Risiken ihren großen Kunden gegenüber offenzulegen und nicht aus Angst vor Sanktionen zu verheimlichen.