10. Runder Tisch: Kinderrechte im Sorgfaltsprozess
Welche Rolle spielen Kinderrechte im unternehmerischen Sorgfaltsprozess, vor dem Hintergrund internationaler Standards und auch angesichts des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG)? Wie lässt sich das Thema im Unternehmen umsetzen? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt des 10. Runden Tisches zum Thema „Kinderrechte im Sorgfaltsprozess“ am 5. Juni 2024. Organisiert wurde der Runde Tisch vom Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte, Save the Children Deutschland, dem UN Global Compact Netzwerk Deutschland, und dem Deutschen Komitee für UNICEF.
Die Veranstaltung fand in den Räumlichkeiten der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG) in Köln statt. Unter Chatham House Rule diskutierten rund 70 Vertreter:innen aus Unternehmen, NGOs und der Zivilgesellschaft über das Erkennen von Risiken für Kinderrechte und die Umsetzung kinderrechtssensibler Präventions- und Abhilfemaßnahmen.
Begrüßt wurden die Teilnehmenden von Dr. Jessica de Wolff, Leiterin des Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte, Jana Sievers, Beraterin beim Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte, und Richard Hülsmann, Head of Social and Governance Programmes beim UN Global Compact Netzwerk Deutschland.
Verletzung von Kinderrechten
Unternehmerisches Handeln hat weltweit Auswirkungen auf das Leben von Kindern. Kinderrechte können dabei auf vielerlei Weise beeinträchtigt werden: Am Arbeitsplatz und in der Lieferkette, in der Gemeinschaft und Umwelt oder am Marktplatz. Beispielsweise durch unwürdige Arbeitsbedingungen von Eltern, unzureichende Löhne zur Existenzsicherung von Familien, Umweltverschmutzungen bis hin zu ausbeuterischer Kinderarbeit.
Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und UNICEF, sind weltweit rund 160 Millionen Kinder in Kinderarbeit, 10 Prozent aller Kinder (79 Millionen Kinder) arbeiten unter besonders gefährlichen Bedingungen. Das wichtige Entwicklungsziel 8.7 der Agenda 2030, Kinderarbeit bis 2025 abzuschaffen, wird klar verfehlt laut Dr. Annette Niederfranke, Leiterin der ILO-Repräsentanz in Deutschland. Dabei konnte Kinderarbeit - insbesondere in Asien – bis 2016 deutlich reduziert werden, dann folgte der Anstieg. Ursachen für Kinderarbeit sind Kriege, Vertreibung, Armut, globale Krisen wie die COVID-19-Pandemie und die Klimakrise. Kinder werden in Arbeit geschickt, um die Lebensgrundlagen zu sichern. Die ILO kämpft gegen Kinderarbeit, insbesondere durch den Aufbau menschenwürdiger und existenzsichernder Arbeit für Eltern auch in Lieferketten, gute Ausbildung für Kinder und den Ausbau des sozialen Basisschutzes, so Dr. Annette Niederfranke.
Das Verbot von Kinderarbeit gehört – neben anderen Menschen- und Umweltrechten – zu den durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) geschützten Rechten. Auf dieser Grundlage und als Kontrollbehörde für das LkSG verfolgt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) entschlossen jedwede Hinweise auf Verletzungen von Kinderrechten. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Identifizierung von Kinderarbeit in den Lieferketten der Unternehmen, die das Gesetz einzuhalten haben. Florian Woitek-Kießling, Referatsleiter beim BAFA, berichtete in seinem Beitrag, dass bereits über 1.000 Kontrollen durchgeführt wurden. 10 % davon waren anlassbezogen, d. h. basierend auf konkreten Hinweisen zu möglichen Verletzungen von nach dem LkSG geschützten Rechtsgütern. Um das Thema Kinderarbeit ganzheitlich anzugehen und Kinderrechte auf Grundlage des LkSGs zu stärken, spielen auch die Aspekte einer angemessenen Entlohnung, Sicherheit und die Bekämpfung von Diskriminierung am Arbeitsplatz auch bei jungen Arbeitnehmenden sowie Eltern eine wichtige Rolle. Zum Thema LkSG und Schutz von Kinderrechten arbeitet das BAFA an einer ausführlichen Handreichung, welche noch in diesem Jahr veröffentlicht werden soll.
Unternehmerische Sorgfalt: Warum braucht es eine Kinderrechtsperspektive?
Kinder sind einem erhöhten Risiko nachteiliger Auswirkungen ausgesetzt. Das erklärten Philipp Appel, Experte für Kinderrechte in Lieferketten bei Save the Children Deutschland, und Laura Much, Advocacy Spezialistin für Kinderrechte und Unternehmensverantwortung beim Deutschen Komitee für UNICEF. Mit Blick auf Schritte im Sorgfaltsprozess machen sie deutlich: Kinder sind besonders schutzbedürftig aufgrund ihres Entwicklungsstadiums und oftmals abhängig von Erwachsenen für die Verwirklichung ihrer Rechte. Kinder sind sehr häufig nicht in der Lage, für ihre eigenen Interessen vor multinationalen Unternehmen einzutreten und haben auch keine Mittel, Prozesse zu ändern. Diese Vulnerabilität sollten Unternehmen im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht beachten. Beispielsweise gibt es häufig keine passenden Schutzmaßnahmen, um Kinder die in umliegenden Gemeinden leben gegen die Chemikalien, die auf Feldern eingesetzt werden zu schützen. Auch die entstehende Luftverschmutzung wird schnell als harmlos eingestuft, obwohl für Kinder niedrigere Schwellenwerte angesetzt werden müssten. Zudem sollten Beschwerdemechanismen auf die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit für Kinder geprüft werden.
Risiken für Kinderrechte ermitteln
Ines Kämpfer, CEO des Center for Child Rights and Business, erklärte, dass Kinderrechtsverletzungen oft komplexe Ursachen haben. Dazu zählen Indikatoren wie hohe Armut, Korruption, niedrige Geburtenregistrierung und Genderdiskriminierung. Auch die sozial-ökonomische Position der Eltern spielt eine entscheidende Rolle: Wenn bereits die Eltern zu niedrigen Löhnen arbeiten, erhöht dies das Risiko für Kinderarbeit. Hier zeigt sich, dass das Wohl der Kinder untrennbar mit dem der Eltern verbunden ist. Kämpfer betonte, dass für die ganzheitliche Betrachtung der Kontextrisiken besonders Untersuchungen vor Ort ausschlaggebend sind, beispielsweise durch Gespräche mit Schulen oder Sozialarbeiter:innen. Neben der von den UN-Leitprinzipien vorgegebenen Priorisierungslogik, sollten bei der Analyse und Priorisierung auch folgende Faktoren berücksichtigt werden:
- Was beeinflusst das Risiko von Kinderarbeit am meisten?
- Welches Risiko ist nah am Unternehmen?
- Welches Risiko kann vom Unternehmen beeinflusst werden?
Diese Faktoren können Unternehmen in ihre Risikoanalyse und die Priorisierung der Maßnahmen gegen Kinderarbeit einbinden. Dabei ist es jedoch wichtig, dass bei der Analyse immer das Risiko für die Menschen im Vordergrund steht und nicht die möglichen Risiken für das Unternehmen. Regulierungen für unternehmerische Sorgfaltspflichten sind mit dieser Intention verfasst worden, können aber, wenn sie falsch interpretiert werden, zu einem Fokus auf das Risiko für das Unternehmen führen - dies sollte auf keinen Fall passieren.
Präventionsmaßnahmen
Kontrollmechanismen wie Zugangskontrollen am Werktor oder Alter-Verifizierungssysteme sind wirksame Tools zur Prävention von Kinderrechtsverletzungen, sind allerdings alleine nicht ausreichend um effektiv Kinderarbeit vorzubeugen. Sie können ohne weitere begleitende Maßnahmen dazu beitragen, dass Kinder an anderer Stelle arbeiten gehen, da sie auf das Geld angewiesen sind. Kinderarbeit wird damit verschoben und das Problem verlagert sich. Unter Umständen arbeiten Kinder dann unter noch prekäreren Bedingungen. Das betonte Julia Aruni Kirschner, Impact und Innovation Director beim Modelabel ARMEDANGELS. Gibt es beispielsweise einen Kostendruck von außen, kann eine Verlagerung von Kinderarbeit in den informellen Sektor oder in tiefere Lieferkettenstufen stattfinden, um den Kostendruck zu kompensieren. In diesen Bereichen besteht noch weniger Handhabe und es kann leichter zu Rechtsverletzungen kommen. Die unerwünschten "Nebenwirkungen" von Verboten oder auch eines Rückzugs sollten daher beachtet werden.
Kirschner hob darüber hinaus hervor, dass Ziele von Maßnahmen genau hinterfragt werden sollten: Geht es dabei um die Minderung eigener Reputationsrisiken oder um die Risiken für Kinderrechte? Am Beispiel von ARMEDANGELS erklärte sie, dass das Unternehmen die Zahlung existenzsichernder Löhne als wirksame Maßnahme gegen Kinderarbeit identifiziert habe und dies in einem Leuchtturmprojekt erfolgreich umgesetzt hat. Das Unternehmen hält sich deshalb bei der Kalkulation existenzsichernder Löhne an die Empfehlungen lokaler Gewerkschaften und zahlt Boni, die anteilig an der Auslastung des jeweiligen Modelabels im Gesamtvolumen der Bestellungen beim Lieferanten berechnet werden. Ines Kämpfer hob in diesem Kontext hervor, auch menschenwürdige Arbeitsbedingungen für jugendliche Arbeiter:innen zu schaffen, kann ein wichtiges Mittel gegen informelle, unwürdige Kinderarbeit sein. Dadurch werden formale Strukturen für den Berufseinstieg geschaffen.
Um Verletzungen wirksam zu begegnen, ist den Erfahrungen Kirschners zufolge außerdem Offenheit entscheidend. Es ist notwendig, über bestehende Probleme zu sprechen und vorhandene Risiken von vornherein anzuerkennen. Eine veränderte Kommunikationsweise, die die Existenz von Rechtsverletzungen anerkennt und die Bemühungen der Unternehmen zur Linderung dieser Verletzungen hervorhebt, ist erforderlich.
Remediation von Kinderrechtsverletzungen
Insbesondere weil Kinder noch eine ganze Zukunft vor sich haben, dürfen Prävention und Abhilfe von Kinderrechtsverletzungen nicht als getrennte Prozesse betrachtet werden; beide müssen gleichzeitig umgesetzt werden, betont Serena Alonso, Human Rights Specialists bei dormakaba. Wenn Kinder bereits von Kinderarbeit betroffen sind, reicht Prävention allein nicht aus und es bedarf auch gezielter Abhilfemaßnahmen. Diese können zusätzliche Zeit zur Entwicklung wirksamer Präventionsmaßnahmen schaffen – dabei sollten beide auf einander abgestimmt sein. Statt unrealistische Verbote oder Zero-Tolerance-Ziele zu kommunizieren, ist es effektiver, die Bemühungen und Learnings des Unternehmens zur Linderung von Rechtsverletzungen zu erläutern. Dies ermöglicht auch den notwendigen Austausch mit Branchenkolleg:innen und anderen relevanten Stakeholdern, um gemeinsam langfristige Lösungen voranzutreiben.
Anne Reiner, Fachleitung Nachhaltige Lieferketten bei Save the Children Deutschland, betonte vor diesem Hintergrund, dass viele Projekte, die sich z.B. der Remediation von Kinderarbeit widmen, viel zu kurz sind. Abhilfemaßnahmen sollten daher nicht nur punktuell sein, sondern Kinder mindestens bis zum legalen Mindestarbeitsalter begleiten. Die Maßnahmen muss ein Unternehmen natürlich nicht alleine umsetzen, sondern kann und sollte gemeinsam mit lokalen Autoritäten und der Zivilgesellschaft tätig werden. Zudem sollten Abhilfemaßnahmen Einkommenskompensationen beinhalten, um zu verhindern, dass Kinder erneut arbeiten müssen. Gleichzeitig muss Jugendlichen der Zugang zu angemessener Arbeit ermöglicht werden, was ein fallbasiertes Management erfordert.
Key Takeaways
Unternehmen können eine entscheidende Rolle bei der Verwirklichung von Kinderrechten spielen. Darin stimmten die Teilnehmenden in anschließenden Workshops überein. Hierbei wurden wichtige Erkenntnisse und Praxisbeispiele diskutiert sowie Maßnahmen gegen Kinderrechtsverletzungen wie Kinderarbeit beleuchtet, welche Unternehmen direkt implementieren können. Durch die Reduktion negativer Auswirkungen unternehmerischen Handelns und der aktiven Umsetzung fördernder Maßnahmen, können Unternehmen entlang ihrer Lieferketten zum Fortschritt der Kinderrechte und einer nachhaltigen Zukunft beitragen. Die Teilnehmenden formulierten einige Punkte, die sie für eine erfolgreiche Umsetzung als grundlegend erachten:
- Eine stärkere Zusammenarbeit mit lokalen Stakeholdern ist erforderlich, um die Perspektive der Betroffenen einzubeziehen. Dazu benötigen vor allem NGOs und Gewerkschaften ausreichende Ressourcen.
- Das Thema kann nicht nur von Nachhaltigkeitsabteilungen allein vorangetrieben werden. Stattdessen sollte es von der höchsten Managementebene unterstützt und ins gesamte Unternehmen getragen werden.
- Gute Einkaufspraktiken besitzen transformatives Potenzial. Einkaufsabteilungen spielen daher eine wichtige Rolle in der Umsetzung kinderrechtsensibler Sorgfaltsprozesse und sollten gezielt eingebunden werden.
- Kooperationen mit anderen Unternehmen können helfen, beispielsweise um das Einflussvermögen eines einzelnen Unternehmens in der Lieferkette zu erhöhen. Hier wurde mehr Klarheit bezüglich kartellrechtlicher Fragen, z. B. zur Umsetzung von branchenspezifischen Lösungsansätzen in der Lieferkette, gewünscht.
Als eine wichtige, abschließende Erkenntnis wurde festgehalten, dass Unternehmen auch dann tätig werden sollten, wenn das anvisierte Endziel, wie beispielsweise existenzsichernde Löhne, noch nicht vollständig erreicht werden kann. Zwischenlösungen mögen nicht perfekt sein, sind aber dennoch ein Schritt in die richtige Richtung, denn menschenrechtliche Sorgfalt ist ein kontinuierlicher Prozess, der immer wieder überprüft und neu angepasst werden sollte.
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