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11. Runder Tisch: Menschenrechtliche Sorgfalt in Hochrisikogebieten

Was ist ein Hochrisikogebiet oder -land? Ab wann ist eine Auseinandersetzung ein Konflikt? Wie können Unternehmen unter solchen Bedingungen aktiv sein – und menschenrechtliche Sorgfalt anwenden? Diese und weitere Fragen wurden beim 11. Runden Tisch zum Thema „Menschenrechtliche Sorgfalt in Hochrisikogebieten und –ländern“ diskutiert, den der Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte in Kooperation mit dem Geneva Centre for Security Governance (DCAF) ausgerichtet hat.

Sicheres Arbeiten in Hochrisikogebieten

Die International Labour Organization (ILO) setzt internationale Arbeits- und Sozialstandards, die von den Mitgliedsstaaten ratifiziert, d.h. in nationale Gesetze implementiert werden. Ziel ist die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze und sozialer Sicherung für alle Menschen. Weltweit leben nach ILO-Daten zwei Milliarden Menschen in fragilen Staaten, in denen die Existenz und damit auch die Arbeit von bewaffneten Konflikten eingeschränkt sind. In diesen Ländern und in anderen Hochrisikogebieten werden Arbeits- und Menschenrechte eingeschränkt. Die ILO arbeitet darum intensiv mit Regierungen und Sozialpartnern, inklusive Unternehmen, um die Wahrung der Arbeitsrechte zu sichern, durch Inspektionen zu kontrollieren und einen sozialen Basisschutz aufzubauen. Die zehn Kernarbeitsnormen der ILO sind hierfür die Grundlage, die auch Unternehmen den Rahmen zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten gibt. Josefin Faak, wissenschaftliche Mitarbeiterin der ILO-Repräsentanz in Deutschland, berichtete von der Zusammenarbeit der ILO mit fragilen Staaten anhand der Beispiele Libanon, Jordanien, Palästina sowie der Ukraine. Sie betonte, dass die Arbeit der ILO immer einem “human-centered approach” folge mit Blick auf die Lebensrealität der Menschen. In Umsetzung ihres globalen Mandats verfolgt die ILO das Ziel, einen Konsens zwischen den unterschiedlichen Interessen und Akteuren herzustellen und dabei vulnerable Gruppen konsequent in den Fokus zu stellen.

Wann spricht man überhaupt von einem Hochrisikogebiet?

Johannes Blankenbach, Senior EU/Western Europe Researcher beim Business & Human Rights Resource Centre (BHRRC), schaffte Klarheit über den Begriff „Hochrisikogebiet“. Bei der Einstufung von Hochrisikogebieten gebe es keine geschlossenen Listen. Diese hänge vielmehr von vielfältigen Faktoren ab. Neben externen und politischen Gründen könnten beispielsweise auch spezielle Kontexte wie der Bergbau oder das Vorhandensein vulnerabler Gruppen Hochrisikoumstände schaffen. Laut der OECD-Definition handelt es sich bei Hochrisiko- oder Konfliktgebieten um „Gebiete, die von bewaffneten Auseinandersetzungen, weitverbreitetem Auftreten von Gewalt, insbesondere von kriminellen Netzwerken ausgehend, oder anderen Gefahren geprägt sind, die die dort lebenden Menschen weitreichend beeinträchtigen können.” Hilfreich für Unternehmen zur Bewertung der eigenen Aktivitäten sowie Lieferketten könne der jährlich vom BHRRC veröffentlichte Transition Mineral Tracker sein, der über die Auswirkungen von bestimmten Rohstoffen auf Menschenrechte und Klima informiert.

In Hochrisikogebieten sind die Sicherheitskräfte häufig unzureichend ausgebildet, was ein großes Risiko für Unternehmen und Betroffene vor Ort darstellen kann. Jean-Michel Rousseau vom Geneva Centre for Security Governance (DCAF) teilte wichtige Erfahrungen im Umgang mit Sicherheitsdiensten in Hochrisikogebieten. Wie das Beispiel Mosambik zeigt, können sogar staatliche Sicherheitskräfte zu einer Erhöhung der Konflikttätigkeit beitragen. Für Unternehmen könne dies zu unterbrochenen Lieferketten sowie zu rechtlichen und Reputationsrisiken führen. Durch präventive Maßnahmen können diese Risiken reduziert werden. So erklärte Jean-Michel Rousseau, dass das Thema in das Lieferkettenmanagement integriert werden sollte. Bei der Auswahl von Sicherheitsdiensten sei es elementar, nicht primär auf den Preis, sondern auf die Qualität zu achten und die Zulassung nach lokalem Recht zu prüfen.

Einbindung von Stakeholdern

Eine effektive Einbeziehung von Betroffenen ("Stakeholder Engagement") sei elementarer Bestandteil von Sorgfaltspflichten gerade auch in Konflikt- und Hochrisikokontexten, so Johannes Blankenbach. Dies fördere die Qualität der Lieferantenbeziehung und helfe, wirksame Maßnahmen zu definieren.

Auch Holcim, ein führendes Unternehmen der nachhaltigen Baustoffproduktion, hat viel Erfahrung mit Produktionsstätten in Hochrisikogebieten und setzt auf den Dialog mit den relevanten Stakeholdergruppen. Entscheidend sei dabei der regelmäßige Austausch, so Christoph von Toggenburg, Head of Human Rights and Social Impact bei Holcim - insbesondere mit den Mitarbeitenden vor Ort sowie den lokalen Gemeinden. Zu diesem Zweck besucht sein Team regelmäßig alle Produktionsstätten. Bei der Identifikation von “salient risks”, also besonders schwerwiegenden Themen, werden entsprechende Aktionspläne erstellt und deren Umsetzung überwacht. Zentral für die Einhaltung der Sorgfaltspflicht ist für Holcim auch die Möglichkeit sich unabhängig zu beschweren. Vertrauen schaffen und Vertraulichkeit wahren sind dabei wesentliche Bausteine, um glaubwürdige Informationen zu erhalten.

Erhöhte Sorgfalt auch im eigenen Geschäftsbereich

Neben der erhöhten Sorgfalt in Lieferketten bedarf auch der eigene Geschäftsbetrieb in Risikogebieten einer besonderen menschenrechtlichen Sorgfalt. Lasse Kowalewski, Human Rights Director im Gesundheitskonzern Fresenius, erläuterte dies am Beispiel Kolumbien, wo das Recht auf gewerkschaftliche Vereinigung besonders fragil ist. Der Gesundheitskonzern bekennt sich klar zur Achtung der Koalitionsfreiheit und unterstützt einen intensiven Dialog zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und den lokalen Geschäftsleitungen. Monatliche Treffen und eigens eingerichtete Räume für den vertraulichen Austausch zwischen Gewerkschaftsmitgliedern, Mitarbeitenden und den Geschäftsleitungen unterstützen das zusätzlich. Außerdem wirkt sich dieses Thema auch auf ein weiteres Menschenrecht aus – die Sicherheit am Arbeitsplatz. Hier stellte er heraus, dass ein sicheres Arbeitsumfeld eng damit zusammenhängt, ob Mitarbeitende ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit wahrnehmen können und ob das Unternehmen in Regionen mit Menschenrechtsrisiken dieses Umfeld aktiv gestalten kann. In Kolumbien setzt der Gesundheitskonzern dafür überdurchschnittlich viel Sicherheitspersonal in und um die Kliniken ein.

Transparente Kommunikation mit allen Stakeholdern ist erfolgskritisch

Kowalewski betonte weiterhin, dass eine transparente und zielgruppengerechte Kommunikation nötig ist, um in einer großen Organisation menschenrechtliche Sorgfalt zu etablieren. Das reicht von einer Erläuterung, was Menschenrechte im wirtschaftlichen Kontext sind bis zum offenen Austausch über klare Anforderungen, die für den Fresenius-Konzern gelten und welche Herausforderungen damit in der Lieferkette einhergehen. Ein globales Programm, das weltweit eigene Standorte wie auch Lieferantenbeziehungen abdeckt, ist hierfür die Basis. Fresenius setzt dabei auf Schulungen und transparente Kommunikation – auch zu Herausforderungen und kulturellen Unterschieden.

Denkanstöße

Julie Schindall, Director of Responsible Sourcing and Responsible Investment beim Beratungsunternehmen Levin Sources, gab den Teilnehmenden mit ihrer Aufzählung von „shortcomings“ menschenrechtlicher Sorgfalt in Hochrisikogebieten Denkanstöße mit auf den Weg: Unternehmen dürften sich nicht auf Listen, Rankings oder Ratings verlassen. Vielmehr müssten sie viele verschiedene Informationen heranziehen. Wesentlich sei dabei, die Perspektive von Stakeholdern einzuholen und ihnen zuzuhören. Unternehmen müssten den Mut haben, Dinge dort, wo sie hohe Risiken sehen, wirklich zu verändern.

Vertiefungsworkshops

Alle Teilnehmenden an den Workshops waren sich in einem Punkt einig: Die Kommunikation mit Stakeholdern, insbesondere mit betroffenen Gruppen, sei zentral für die Sicherung von Menschenrechten in Hochrisikogebieten. Dafür brauche es Zeit, Empathie, echtes Zuhören und Regelmäßigkeit. Risikobasiertes Vorgehen sei hier ganz zentral. Es sei besser, in den direkten Austausch mit Einzelnen zu gehen, als allen nach dem Gießkannenprinzip Fragebögen zu schicken. Eine Priorisierung und die Identifikation von Schlüsselthemen sei unabdingbar. Schwäche zu zeigen sei wertvoll, um gemeinsam Verbesserungen zu erreichen. Dafür sei auch ein kreativer Prozess förderlich. Man sollte keine Angst vor klaren Prioritäten haben. So würde auch die menschenrechtliche Sorgfalt bei sehr großen Unternehmen und einer riesigen Anzahl von Lieferanten praktisch umsetzbar sein.

Eine Workshopgruppe befasste sich damit, vor welchen Unsicherheiten Unternehmen stehen, wenn es um das Thema Sicherheit geht. Dies sei kein rein technisches Thema, sondern müsse im Rahmen der menschenrechtlichen Sorgfalt in der Lieferkette angegangen werden. Da sowohl für Betroffene als auch für das Unternehmen selbst Risiken einhergehen würden, müsse der Einsatz von Sicherheitskräften aktiv gestaltet werden.
In der Diskussion um einen verantwortungsvollen Rückzug aus einem Hochrisikogebiet gab es keine klare Antwort. Die Entscheidung, wann ein Rückzug entsprechend dem LkSG als Ultima Ratio vorzunehmen sei, sei ein ständiger Abwägungsprozess und von den Unternehmen selbst zu treffen. Insgesamt wurde betont, dass „Unternehmen ins Tun kommen müssen“. Es sei nicht immer leicht, im menschenrechtlichen Sorgfaltsprozess einen Startpunkt zu finden. Die Empfehlung der Expert:innen ist: einen Startpunkt wählen, selbst wenn es nicht der perfekte Ausgangspunkt sei, erst einmal die am höchsten priorisierten Themen angehen und von dort aus weiter lernen und ausbauen.

Key Take Aways

  1. Sicherheit ist kein bloßes technisches Thema mehr, es muss in der Lieferkette mit menschenrechtlicher Sorgfalt angegangen werden
  2. Take Action! Wenn wir Probleme sehen, müssen wir in den Dialog gehen und uns engagieren
  3. Risikobasiert vorgehen – lieber den direkten Austausch mit Einzelnen suchen als allen nach dem Gießkannenprinzip Fragebögen zu schicken
  4. Wirtschaften ist etwas Soziales, Wirtschaft hat immer mit Menschen zu tun
  5. Keine Angst vor klaren Prioritäten! So wird menschenrechtliche Sorgfalt auch bei sehr großen Unternehmen und einer riesigen Anzahl von Lieferanten handelbar
  6. Verlassen Sie sich nicht nur auf eine Informationsquelle. Hören Sie sich vor allem die Perspektive Betroffener an
  7. Einen Startpunkt wählen – ins Tun kommen, lernen und weiter ausbauen. Nicht alle Themen zeitgleich angehen, sondern priorisieren

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Dr. Katrin Merhof

Beraterin

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