Die Arbeitnehmerseite mitzudenken ist eine Horizonterweiterung
Am 19. Dezember haben der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eine Grundsatzerklärung unterzeichnet. Darin wird unter anderem der gemeinsame Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit, zum Beispiel bei globalen Lieferketten, Just Transition und der internationalen Berufsbildung, zum Ausdruck gebracht. Um einen näheren Blick auf die Ausgestaltung und das Potenzial der Kooperation zu werfen, haben wir mit Annika Wünsche, Abteilungsleiterin Europa und Internationales beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) , und Bernhard von dem Haar, Leiter der Gruppe 'Zusammenarbeit mit Wirtschaft' der GIZ, zwei Schlüsselpersonen für die Ausgestaltung der Partnerschaft zu einem Doppelinterview eingeladen.
AWE: Annika Wünsche, wie sieht die internationale Arbeit des DGB aus?
Annika Wünsche: Der DGB ist als Dachverband von acht Mitgliedsgewerkschaften im Europäischen Gewerkschaftsbund, ETUC, sowie dem Internationalen Gewerkschaftsbund, ITUC, organisiert. Das sind jeweils Zusammenschlüsse nationaler Gewerkschaftsdachverbände. Darüber hinaus pflegen wir eine enge Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO. Auch mit anderen internationalen Organisationen arbeiten wir vertrauensvoll zusammen: Die OECD hat beispielsweise einen eigenen gewerkschaftlichen Beratungsausschuss. Es sind daneben aber auch viele Initiativen und Multi-Akteurs-Gruppen, in die wir uns einbringen.
In der Entwicklungszusammenarbeit haben wir seit geraumer Zeit expliziten Gestaltungsanspruch angemeldet. Diese Entwicklung ist geprägt davon, dass in den vergangenen Jahren eine zunehmend große Schnittmenge zwischen internationaler Gewerkschaftsarbeit und Entwicklungszusammenarbeit entstanden ist. Um ein paar zentrale Themen unserer Arbeit zu nennen, wären das: Menschenrechte in globalen Lieferketten, der ganze Komplex um einen sozial-gerechten ökologischen Wandel, oder Just Transition, sowie die internationale Berufsbildung. Ein weiteres wichtiges Anliegen sind die Rechte von Frauen und Mädchen – hier liegt ein besonders vulnerabler Teil globalisierten wirtschaftlichen Handelns, der von uns besondere Aufmerksamkeit bekommt.
Wie wir beim DGB, bearbeiten auch unsere einzelnen Mitgliedsgewerkschaften internationale Aspekte zu je ihren Branchen. Als deutsche Organisationen sind unsere Mitgliedsgewerkschaften in Globalen Gewerkschaftsföderationen organisiert. Diese sind als Pendants multinationaler Konzerne zu verstehen und sind derern Verhandlungspartnerinnen für globale Rahmenvereinbarungen, in denen sich auf Arbeitsbeziehungen innerhalb des Konzerns, oft auch in der gesamten Lieferkette, verständigt wird.
AWE: Bernhard von der Haar, wo sehen Sie Schnittpunkte zwischen dem Engagement der Gewerkschaften und der Entwicklungszusammenarbeit?
Bernhard von der Haar: Die Schnittmenge ist sehr groß und von einer enormen Relevanz: DGB und GIZ stehen für gemeinsame Ziele. Wir setzen uns ein für Chancengleichheit, gesellschaftliche Partizipation und eine klimaneutrale, resiliente und sozial gerechte Welt. In vielen Ländern sehen wir, dass die Einbeziehung der Gewerkschaftsarbeit eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg sozial-ökologischer Transformationsprozesse darstellt. Abstrakt geht es dabei um die Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz über die Einbeziehung der Gewerkschaftsarbeit in gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Konkret um die Einhaltung von Menschenrechten, um menschenwürdige und sozial abgesicherte Arbeit und um faires Einkommen. All dies sind entscheidende Voraussetzungen für soziale Teilhabe, gesellschaftliche Resilienz und nachhaltige Transformation.
AWE: Bernhard von der Haar, wie wird die Zusammenarbeit zwischen DGB und GIZ konkret aussehen?
von der Haar: Vor dem Hintergrund des eben Gesagten arbeiten wir – beispielsweise im Bereich der Stärkung des Sozialdialogs - in zahlreichen Programmen seit Jahren eng und erfolgreich mit Gewerkschaftsorganisationen zusammen. Der Anspruch einer verstärkten strategischen Zusammenarbeit zwischen den Häusern fand dabei seinen Anfang mit der Entsendung eines sogenannten Union Scouts in den DGB Ende 2021. Dieses Modell hat sich sehr bewährt und weitere Entsendungen in DGB-Mitgliedsgewerkschaften befinden sich in Vorbereitung und werden in den nächsten Monaten erfolgen. Die kürzlich unterzeichnete Grundsatzerklärung beider Organisationen gibt dabei den Rahmen und die konkrete Richtung der strategischen Zusammenarbeit vor. Die inhaltliche Klammer setzt dabei das UN-Entwicklungsziel 8, Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum.
AWE: Bernhard von der Haar, was sind die „Business Scouts for Development“ und was haben sie mit Gewerkschaften zu tun?
von der Haar: Business Scouts sind GIZ-seitig entsandte Expert*innen in ausgewählte Partnerorganisationen und seit Januar ein personeller Bestandteil der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung. Finanziert und beauftragt wird dieses Programm durch das BMZ. Das Ziel der Business Scouts for Development – in diesem Fall sprechen wir von „Union Scouts“ – besteht darin, die Wirtschaft stärker in die deutsche Entwicklungszusammenarbeit einzubinden. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der öffentlichen Haushalte, ist dieses Ziel weiterhin sehr zentral, um die ambitionierten Sustainable Development Goals erreichen zu können. Wirtschaft besteht jedoch nicht nur aus der Managementseite, sondern auch aus Arbeitnehmer*innen. Aus diesem Verständnis heraus sind Gewerkschaften expliziter Teil der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Dies hat auch das BMZ in seinen letzten Veröffentlichungen immer wieder und unmissverständlich klargestellt. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, haben wir unsere Zusammenarbeit in dieser Hinsicht mit zusätzlichen Entsendungen an DGB-Mitgliedsgewerkschaften intensiviert.
AWE: Annika Wünsche, was macht ein Union Scout?
Wünsche: Der Auftrag eines Union Scouts ist es, die Ziele der Partnerschaft zwischen DGB und GIZ – stärkere Verzahnung von Entwicklungszusammenarbeit und Gewerkschaften – in die Praxis umzusetzen und als Transmissionsriemen zwischen BMZ, GIZ und Gewerkschaften in die jeweiligen Organisationen hineinzuwirken. Zentrale Themen sind Menschenrechte entlang globaler Lieferketten zu sichern, Just Transition im Sinne der Arbeitnehmer*innen zu gestalten, Arbeitnehmervetreter*innen in Berufsbildungsprogramme einzubeziehen und vieles mehr.
Der Arbeitsalltag eines Union Scouts ist dementsprechend vielfältig. Der Scout beim DGB ist insbesondere in gewerkschaftliche Austausche mit thematischer Befassung zu Menschenrechtsfragen in globalen Lieferketten integriert. Die entsprechenden politischen Prozesse und Gesetzgebungen werden von uns seit Jahren eng begleitet. Der Scout stellt die Schnittstelle zu den Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit dar und stellt, wenn nötig, Kontakte her bzw. hält Prozesse nach. Auch in der Prozessgestaltung rund um die Grundsatzvereinbarung zwischen GIZ und DGB spielte er eine wichtige Rolle.
AWE: Bernhard von der Haar, welche weiteren konkreten Projekte sind im Rahmen des MoU denkbar oder bereits geplant?
von der Haar: Das MoU ist die inhaltliche Richtschnur der Zusammenarbeit und setzt, wie gesagt, das Entwicklungsziel 8 der Vereinten Nationen ins Zentrum. Daraus ergibt sich die gemeinsame Agenda: dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle zu erzielen. Die Agenda 2030 des BMZ spezifiziert darüber hinaus unter SDG8 einige Aspekte, denen wir in der Zusammenarbeit erhöhte Aufmerksamkeit schenken wollen: Den stärkeren Einbezug von Frauen in das Wirtschaftssystem, die Abschaffung von Zwangsarbeit, Menschenhandel und Kinderarbeit in globalen Wertschöpfungsketten. Aktuell werden Gespräche geführt, wie gewerkschaftliche Akteure hinsichtlich ihrer Rolle im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gestärkt werden können. Eine Zusammenarbeit bei einigen Themen bei der Hamburg Sustainability Conference im Oktober ist ebenfalls avisiert.
AWE: Bernhard von der Haar, welche Vorteile bietet die Zusammenarbeit mit dem DGB für die Entwicklungszusammenarbeit?
von der Haar: Bei der Zusammenarbeit mit einem Dachverband geht es immer auch um das Netzwerk, das sich über die Mitglieder und deren globale Einbindungen erstreckt. Beim Deutschen Gewerkschaftsbund ergibt sich dabei für die EZ ein neues Feld sehr ambitionierter Akteure. Gewerkschaften gibt es fast überall, wo gearbeitet wird. Synergiepotentiale mit der EZ können durch die Kooperation mit dem DGB und in enger Abstimmung mit der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgearbeitet werden. Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung in Partnerländern stärken bedeutet Resilienzen zu schaffen.
AWE: Annika Wünsche, und was erwarten Sie von der beschlossenen engeren Zusammenarbeit mit der GIZ?
Wünsche: Eine strategische Partnerschaft zwischen BMZ und DGB besteht bereits seit 2015 und wurde im Nachgang der Rana Plaza-Katastrophe beschlossen. Denn dabei wurde klar: Risiken in globalen Lieferketten sind nur im Schulterschluss zwischen Institutionen der EZ und beiden Sozialpartnern effektiv reduzierbar. Die GIZ ist mit ihrem weltweiten Einsatz und enormen Umsetzungsfähigkeiten der ideale Partner, um als Verstärker der Stimme der Beschäftigten wirken zu können.
Als DGB sind wir überzeugt, dass wirtschaftliche Entwicklung allein nicht automatisch sozialen Fortschritt, Geschlechtergerechtigkeit sowie gute und faire Arbeitsbedingungen nach sich zieht. Daher fordern der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften ein Umdenken in der EZ, die neben der wirtschaftlichen auch die soziale Entwicklung gleichberechtigt fördern muss. Gewerkschaften sind zentrale Akteurinnen, wenn es um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen, die Qualität von allgemeiner und beruflicher Bildung sowie Modelle sozialer Sicherung geht. Sie sind ein wesentlicher Träger von Sozialstrukturen in einer Gesellschaft. Als Gewerkschaften sind wir es gewohnt unsere Anliegen und Ansprüche transparent zu kommunizieren. Diese Offenheit erwarten wir auch in der Zusammenarbeit. Nur so können wir sicherstellen, dass sich unsere Ansätze synergetisch ergänzen.
AWE: Bernhard von der Haar, wo sehen Sie Herausforderungen in der neuen Zusammenarbeit?
von der Haar: Der Erfahrungshorizont unserer Organisation liegt bis hierhin vor allem in der Zusammenarbeit mit der Managementebene von Unternehmen. Die Arbeitnehmerseite mitzudenken ist dementsprechend eine Horizonterweiterung. Wir begreifen die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften dabei als vielversprechend. Die Herausforderungen liegen darin, ein umfassendes Verständnis der jeweils anderen Organisationskultur und Arbeitsansätze zu entwickeln. Das setzt auch die Entwicklung gemeinsamer Begriffe -- einer gemeinsamen Sprache voraus. Dem gilt nun unsere besondere Aufmerksamkeit. Es wird darum gehen, diese weiter zu intensivieren.
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