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"Die Schatzkiste meines Wissens wurde voller"

Unternehmerin Nora Legittimo
Unternehmerin Nora Legittimo

Wie machen die Menschen in Nordafrika und im Nahen Osten Geschäfte? Wie etablieren sich Frauen dort als erfolgreiche Unternehmerinnen? Welche Themen beschäftigen junge Managerinnen? Als sie sich als Mentorin bei Ouissal bewarb, war Nora Legittimo vor allem eins: neugierig. Denn obwohl die Geschäftsfrau aus Mannheim international arbeitet und viel gereist ist, kannte sie diese Region vorher noch nicht. Das Mentoring-Programm Ouissal schien der Digitalisierungsexpertin passend, um diese Lücke zu schließen. Hier bilden jeweils zwei Managerinnen aus Deutschland einerseits, und aus dem Nahen Osten oder Nordafrika (MENA) andererseits, für ein Jahr ein Tandem. Dass das Mentoring mit einer tunesischen Start-up-Gründerin ihr Leben verändern würde – das hätte Nora Legittimo bei ihrer Bewerbung allerdings nicht gedacht. Im Interview erzählt sie von ihrer Erfahrung als Mentorin und verrät, warum jede deutsche Unternehmerin, die sich nicht für das Programm bewirbt, Großartiges verpasst.    

Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE): Mit welchen Themen beschäftigten Sie sich beruflich, Frau Legittimo?

Nora Legittimo: Ich berate schon seit vielen Jahren Unternehmen bei der Digitalisierung und Unternehmenstransformation. Immer wieder beschäftigt mich die Frage: Wie können Unternehmen wachsen? Und welche mutigen Entscheidungen müssen Manager:innen treffen, damit Digitalisierung gelingt?

Jetzt bin ich Bereichsleiterin bei der Schöck Bauteile GmbH – einem Zulieferer für die Bauindustrie. Schöck-Produkte landen zum Beispiel in Treppen und Balkonen, damit diese sicher halten und dämmen. Sehr handfeste Themen also – im Unterschied zur Digitalisierung. Mein Auftrag ist es nun, digitale Prozesse im Bauablauf unserer Kunden im gesamten Unternehmen zu verankern. Es geht bei mir immer um Veränderungen und um Kommunikation zwischen Menschen mit vollkommen unterschiedlichen Kompetenzen.

AWE: Und wie haben Sie vom Ouissal-Mentoring erfahren? 

Legittimo: Eine Kollegin aus dem Working Moms-Verein suchte Unternehmerinnen und langjährige Managerinnen, die bereit wären, Unternehmensgründerinnen in Nordafrika bei ihrem Werdegang zu unterstützen. 

Ich hatte vorher noch nie beruflich Kontakt mit Nordafrika gehabt, obwohl ich international gearbeitet habe und viel gereist bin. Wie in der Region Geschäfte gemacht werden und wie sich Frauen behaupten, die eine unternehmerische Idee haben, das war für mich ein völlig blinder Fleck. Und insofern war Ouissal die Chance zu lernen. Ich habe jetzt besser verstanden, wie Leben und Arbeitsleben in einer anderen Region funktionieren. 

Über Ouissal

Das Ziel von Ouissal ist die Förderung wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe von Frauen in ihrer Heimat und ihre internationale Vernetzung. Vor über zehn Jahren hat der Euro-Mediterran-Arabische Länderverein EMA e.V. das Programm ins Leben gerufen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fördert das Mentoring mit Unterstützung der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE).

Bewerbungen können noch bis zum 31. Juli 2023 eingereicht werden.

AWE: Wie ging es danach los und wie sah das Mentoring für Sie konkret aus? 

Legittimo: Los ging es mit einem einwöchigen Kickoff in Tunesien. Dort haben sich alle Mentees und Mentorinnen kennengelernt. Meine tunesische Mentee und ich waren ein perfektes Match: Sie beschäftigt sich, genauso wie ich, mit Digital-Themen. Sie ist Teil eines Gründungstrios der Firma Arsela, das die Digitalisierung in den tunesischen Behörden vorantreiben möchte. Zum Beispiel sollen Bürger:innen Behördentermine online vereinbaren oder kaputte Straßenlaternen digital melden können. 

In unseren ersten Videokonferenzen nach dem persönlichen Treffen haben wir gemeinsam Ziele festgelegt. Meiner Mentee war es wichtig, bei ihren vielen und vielfältigen kreativen Ideen den Fokus zu behalten und gezielt ein Projekt zu verfolgen. Daher haben wir nicht mit aufgeplusterten Management-Formaten gearbeitet, die ich aus Konzernen kannte, sondern ganz einfache Dinge getan. Zum Beispiel suchte meine Mentee neue Geldgeber und Kund:innen. Dafür formulierten wir gemeinsam Fragen: Wie pitcht man? Wie rede ich vor einem Bürgermeister, wie vor einer Investorin? Manchmal haben wir auch gespielt: Ich bin in die Rolle der Investorin geschlüpft, die mal freundlich ist und mal kritische Fragen stellt.

Aber: Es war kein Mentoring in nur eine Richtung. Für meine Mentee war es wichtig, den Fokus nicht aus den Augen zu verlieren. Und ich habe gelernt, mutig zu sagen: Ja, ich bin zwar total fokussiert, aber wenn sich unerwartet eine gute Chance bietet, mache ich das andere Projekt jetzt trotzdem.

AWE: Das heißt, auch Ihnen hat das Mentoring viel gebracht? 

Legittimo: Ja, tatsächlich. Es hat dazu geführt, dass ich meine Entscheidungen viel mutiger treffe. Zu erfahren, wie engagierte, kreative Frauen in Tunesien einem Gremium von vier Herren gegenübersitzen und dort ganz klar formulieren, was sie brauchen, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein – das hat mich beeindruckt. Und es hat mich spüren lassen, welche Privilegien ich als Unternehmerin in Deutschland habe. Ich fand es beeindruckend zu sehen, wie diese Frauen ihre Ziele durchsetzen. Ich habe einen anderen Kulturkreis gesehen, erfahren, wie dort Geschäfte gemacht werden und gelernt, dass Dinge, die ich für einfach halte, woanders vielleicht riesige Hürden darstellen. Es ging ein Fenster auf und ich bekam einen Einblick in das Unternehmertum eines Landes, das ich von außen ziemlich anders eingeschätzt hatte. 

Diese Erkenntnis veränderte mein Leben sehr entscheidend, ich wechselte von der reinen Digital- in die Baubranche. Letztere ist eher verschlossen, sucht Insider und setzt selten Personen von außen direkt in hohe Führungspositionen. Ich habe es trotzdem gewagt und habe mich durchgesetzt, ich bin jetzt dort Bereichsleitung für Digitalisierung.

AWE: Was würden Sie Unternehmerinnen sagen, die überlegen, an Ouissal teilzunehmen?

Legittimo: Wer sich für eine Woche aus dem eigenen Geschäft herausziehen und sich alle ein bis zwei Wochen für etwa eine Stunde einer Mentee widmen kann, investiert in die eigene Bildung, in politische Bildung, in die Herzensbildung. Das ist viel mehr als eine Investition in ein Unternehmen in einem fremden Land. Das Mentoring eröffnet viele Perspektiven, die man am eigenen Schreibtisch oder in den eigenen gewohnten Netzwerken nicht sehen wird. Selbst wenn sie international sind. Insofern kann ich sagen: Jede Frau, die nicht an Ouissal teilnimmt, verpasst etwas Großartiges. 

Das Programm ist hervorragend organisiert und sorgt für Unterkunft und interessante Kontaktmöglichkeiten. Teilnehmerinnen haben Raum, interessante Frauen und eine ganz andere (Geschäfts-)Welt kennenzulernen. Sie schließen spannende Freundschaften. Durch die Möglichkeit, sich in einem anderen Land für eine erfolgreiche Unternehmensgründung einzubringen, ist Ouissal keine zusätzliche Mühe, sondern ein Geschenk.

AWE: Was ist Ihr persönliches Fazit? Welchen Unterschied hat das Mentoring für Sie gemacht?

Legittimo: Ich habe gedacht, ich gehe mit der Schatztruhe meines Wissens ins Mentoring, höre mir die Situation an, und dann picken wir dort Dinge raus. Aber es war genau andersrum: Ich hatte diese Schatzkiste zwar dabei, aber es wurden viel mehr Dinge, neue Erkenntnisse, für mich reingelegt, und trotzdem konnten andere an meinem Wissen partizipieren. Ich schaue nun anders auf die Welt, auf Kooperation und auf das Zusammenrücken zwischen Europa und den Staaten des Mittelmeerraumes.

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