Diverso, inclusivo y plural: Wandel durch Verantwortung
Als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und den damit verbundenen weltweiten Krisen will Deutschland stärker in bestehende und neue Partnerschaften in Lateinamerika und der Karibik investieren. Für die deutsche Entwicklungspolitik und in der Region tätige Unternehmen ein guter Anlass, um über Maßnahmen zur Stärkung der wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen in Entwicklungs- und Schwellenländern zu diskutieren.
Krieg in Europa, Wirtschafts- und Energiekrise weltweit - können solche schwierigen Zeiten auch Chancen für die Zukunft bergen? Und wie kann Deutschland seiner Entwicklungs- und Außenpolitik einen neuen, ja, feministisch geprägten Impuls in Lateinamerika und der Karibik geben? Darauf versuchen deutsche Unternehmen und staatliche Akteure gemeinsame Antworten zu finden.
Eine stärkere Einbindung von Frauen in wichtige politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse führt zu "innovativen Geschäftsmodellen". Der Satz von Almuth Dörre, Kommissarische Leiterin der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE), wird zum Leitfaden des hochrangigen Treffens der AWE, dem Lateinamerika Verein e.V. und des Frauennetzwerk Unidas. Gleich zum Auftakt der Veranstaltung „Diverso, inclusivo y plural: Unternehmen als Akteure des Wandels“ wird somit einem wichtigen Gedanken Rechnung getragen: Nämlich, dass die wirtschaftliche Stärkung von Frauen nicht nur eine "zentrale Säule" bei der Überwindung von obsoleten Machtstrukturen ist, sondern dass diese Förderung bei den Unternehmen selbst nun zunehmend zum entscheidenden Erfolgsfaktor wird.
Strukturelle Ungleichheit durch wirtschaftliche Teilhabe bekämpfen
Ein Blick auf Lateinamerika zeigt, dass dort tätige Unternehmen eine wichtige Vorreiterfunktion übernehmen können - auch und insbesondere in Zeiten, in denen die Region aufgrund aktueller geopolitischer Verwerfungen in den Fokus rückt.
Die Ungleichheit zwischen Mann und Frau, vor allem auf dem Arbeitsmarkt, stellt seit langem ein großes Hindernis für ein solideres Wirtschaftswachstum und für die soziale Entwicklung in Lateinamerika und der Karibik dar. Dies geht aus einer Studie der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) hervor. Nur etwa 15% der Führungspositionen in der Region werden demnach gegenwärtig von Frauen besetzt.
„In Lateinamerika und der Karibik ist noch viel zu tun“, stellt Christine Toetzke, Abteilungsleiterin für Asien, Südost- und Osteuropa, Naher Osten und Lateinamerika im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, fest. „Vier von zehn Frauen haben keinen Internetzugang". Zwar seien im Gesundheitswesen 73% der beschäftigten Frauen weiblich – die Frauen verdienten aber 40 Prozent weniger als ihre männlichen Berufskollegen. Auch sei die Gewalt gegen Frauen auf dem Kontinent ein großes Hindernis für ihre wirtschaftliche Teilhabe. Man müsse vor Ort „mit Vorbildern arbeiten und Vorbilder schaffen“, fordert deswegen Toetzke.
Mehr Bildungschancen - und nicht nur für eine Minderheit
Der nötige Strukturwandel erfordert deswegen auch, dass Organisationen mittel- und langfristige Strategien entwickeln. Gute Bildungsmöglichkeiten sowie Gleichberechtigung von Frauen spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Siemens Stiftung setzt etwa auf eine MINT-Bildungsinitiative mit über 180 lokalen Partner:Innen in Lateinamerika, um zahlreichen von Mädchen und jungen Frauen Zugang zu hochwertigen MINT-Bildungsmaterialien über das eigenes digitale Lernportal CREA sowie qualifizierte Lehrer:Innen-Ausbildungen zu ermöglichen. Eine der „größten Herausforderungen“ sei dabei der Zugang zu Bildungsmaterialen und Netzwerken in ländlichen Gebieten, erläutert Dr. Nina Smidt, Geschäftsführende Vorständin und Sprecherin des Vorstands der Siemens-Stiftung.
Ein Bild, das die peruanische Geschäftsführerin von Premium Foods GmbH, Dr. Esmilda Huancaruna, sehr gut aus ihrem Heimatland kennt: Seit Jahrzehnten arbeitet ihre Familie mit kleinbäuerlichen Kaffeefamilien im Norden Perus zusammen. Dort verlassen immer mehr junge Menschen durch die Unterstützung der Eltern die ländlichen Gebiete „auf der Suche nach aussichtsreichen Bildungsmöglichkeiten in den Großstädten, um größere Zukunftschancen zu wahren“, erzählt Frau Huancaruna.
Oft seien sie dort jedoch Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt, erklärt Prof. Dr. Marianne Braig. Die Professorin der Politikwissenschaft am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin ist oft in Lateinamerika unterwegs und hebt als positiven Aspekt hervor, dass es inzwischen mehr Wissenschaftlerinnen an den Hochschulen gebe. Problematisch bleibe aber, dass der Zugang zu sehr guten Universitäten nach wie vor in vielen Ländern einer eher „kleinen elitären Minderheit“ vorbehalten sei.
Dies hat wiederum zur Folge, dass diese Minderheit oft die einzige Gruppe ist, die tatsächlich Chancen auf einen beruflichen Werdegang bei internationalen Unternehmen hat. „Wir arbeiten hauptsächlich auf Englisch“ erklärt Nils Haupt, Senior Director Corporate Communications der Hapag-Lloyd AG.. „Die meisten Frauen, die es zu uns schaffen, haben eine sehr gute Ausbildung und kommen zumeist aus bessergestellten Familien“, stellt er fest. Im Gegenteil zu anderen Regionen habe bislang keine Frau eine Top Führungsposition bei Hapag-Lloyd in Lateinamerika übernommen. Dies auch in der Region zu ändern ist für Hapag-Lloyd ein zentrales Vorhaben: Zur Förderung der Geschlechtervielfalt im gesamten Unternehmen soll unter anderem eine erhebliche Erhöhung des Anteils weiblicher Führungskräfte auf den oberen vier Ebenen bis 2030 erreicht werden.
Vorbildfunktion? - man muss aber auch voneinander lernen
Eine Vorbildfunktion müssen Unternehmen aber nicht nur bei Gender-Fragen übernehmen, sondern auch, wenn es um Menschenrechtsfragen geht. Auf dem Feld hätten die deutsche Entwicklungspolitik und deutsche Unternehmen „eine gewisse Verantwortung“, sagt Prof. Braig.
Dieser Ansatz ist Leitgedanke für die Arbeit von Unidas. Das in Berlin ansässige Netzwerk bringt seit Jahren Frauen und Frauenbewegungen aus Lateinamerika, der Karibik und Deutschland miteinander in Verbindung und fördert mit einer Vielzahl von Initiativen eine enge Zusammenarbeit. So sollen Gleichberechtigung und die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen auf beiden Seiten des Atlantiks gefördert werden.
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