Genderperspektive kann wirtschaftliche Zusammenarbeit stärken
Die EU ist der größte Investor in Lateinamerika und der Karibik, Deutschland der sechstgrößte Einzelinvestor, und das Interesse an der Region nimmt zu. Dass die Beteiligung von Frauen in der internationalen Zusammenarbeit und der Wirtschaft generell große Bedeutung hat, ist unbestritten. Bis zu gerechter Teilhabe ist es aber auf beiden Seiten des Atlantiks noch ein weiter Weg, wie ein Online-Event der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE) und des Lateinamerika Vereins zum Thema „Strengthening international cooperation and business through a gender perspective“ deutlich machte.
Die Coronapandemie hat Frauen in Lateinamerika in gesellschaftlicher, gesundheitlicher und wirtschaftlicher Hinsicht hart getroffen, betonte Niels Annen, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. „Ihre Beteiligung am Arbeitsmarkt ist dadurch zurückgegangen, und diese Entwicklung können wir nicht akzeptieren“, sagte er auf der Veranstaltung. Deutschland stärke schon seit vielen Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit insbesondere Frauen und werde dieses Engagement in Zukunft weiter ausbauen. Dabei spiele die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor eine wichtige Rolle. Als Beispiele für laufende Projekte nannte Annen ein Trainingsprogramm für Frauen in Brasilien zu digitalen Technologien.
Feministische Entwicklungspolitik
Um Geschlechtergerechtigkeit bis 2030 zu erreichen, wie es das fünfte UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung im Rahmen der Agenda 2030 fordert, hat sich das BMZ unter der neuen Ministerin Svenja Schulze explizit einer feministischen Entwicklungspolitik verschrieben. Nur wenn Frauen und Mädchen die gleichen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Teilhabemöglichkeiten hätten, könne nachhaltige Entwicklung erreicht werden, sagte Annen. Deutschland werde sich auch auf internationaler Ebene dafür einsetzen, unter anderem im Rahmen seines diesjährigen G7-Vorsitzes.
Wirtschaftliche Teilhabe von Frauen ist auch ein wichtiger Wachstumsfaktor: Einer Studie der Boston Consulting Group zufolge könnte das weltweite Bruttoinlandsprodukt um drei bis sechs Prozent steigen, wenn Frauen in gleichem Maße wie Männer als Unternehmerinnen tätig wären. Doch die Realität sieht anders aus: Frauen sind unterrepräsentiert – sei es in Europa oder Lateinamerika, in Wirtschaft oder Wissenschaft, in Führungspositionen oder als Arbeitskräfte.
So sitzen beispielsweise in den Vorständen börsennotierter Unternehmen in Deutschland wie in Lateinamerika und der Karibik nach wie vor um ein Vielfaches mehr Männer als Frauen. Für Merike Blofield, Direktorin des GIGA-Instituts für Lateinamerika-Studien in Hamburg, ist das ein Ungleichgewicht, für das es keinerlei Entschuldigung gibt. „Die einzige Erklärung dafür ist die Voreingenommenheit innerhalb einer Gruppe“, sagte sie auf der Veranstaltung am 14. Februar.
Dass es auch anders geht, zeigt der Kreditversicherer Euler Hermes: Mehr als die Hälfte der Vorstände dort sind Frauen. Eine von ihnen ist Edna Schöne, und sie nutzt ihre Führungsrolle dafür, andere Frauen zu fördern. Sie findet es wichtig, dass Frauen sich vernetzen, gegenseitig unterstützen und zur Übernahme von mehr Verantwortung ermutigen. Zudem könne man in einer leitenden Position die Unternehmenskultur beeinflussen – in Schönes Augen ein bedeutender Faktor für den Aufstieg von Frauen. „Diese Kultur ist oft geprägt von Wettbewerb, Kontrolle und Ansagen statt Zuhören, Empowerment und Coaching. Viele Frauen wollen in einem solchen Umfeld nicht arbeiten.“
Netzwerke sind das A und O
Die Diskussionsteilnehmer:innen waren sich darüber einig, dass der Weg zu Geschlechtergerechtigkeit sowohl in Deutschland als auch in Lateinamerika und der Karibik noch weit ist und es gilt, zuerst vor der eigenen Haustür zu kehren. Hier wie dort müssten Frauenrechte gestärkt, diskriminierende Strukturen aufgebrochen und der Zugang zu Ressourcen verbessert werden, sagte Annen. Die wirtschaftliche Stärkung von Frauen sieht er dabei als besonders wichtigen Faktor an.
Auf die Frage nach den besten Instrumenten, um diese zu erreichen, nannten die Panelist:innen viele Beispiele aus ihrer eigenen Erfahrung. Annen betonte die Bedeutung von Zugang zu Finanzierung, von Informationen über bestehende Möglichkeiten und von Rollenvorbildern. Netzwerke zu bilden findet er besonders wichtig, was auch für Schöne das A und O ist. Die Managerin outete sich zudem als „großer Fan“ von Quoten und von Förderprogrammen für Frauen. Darüber hinaus seien Trainings hilfreich, um oftmals unbewusste Mechanismen zu durchbrechen, nach denen beispielsweise Männer eher Männer einstellen und befördern.
Auch Blofield betonte, dass man nicht ausschließlich bei Frauen ansetzen dürfe, sondern auch etwa bei der Sozial-, Familien- und Arbeitsmarktpolitik. Sozialberufe müssten mehr Wertschätzung erhalten und auch für Männer attraktiv gemacht werden. „Das ist die andere Seite des Frauen-Empowerment“, sagte sie.
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