Kooperation statt Konkurrenz. Afrikas Gesundheitssystem stärken.
Das develoPPP-Programm fördert und begleitet zahlreiche Projekte im Globalen Süden mit deutschen Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich. Einige von ihnen sind Teil der German Health Alliance (GHA) – eine Initiative des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Rund 120 deutsche Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen sowie Akteure aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft arbeiten in diesem Rahmen gemeinschaftlich an der Stärkung der lokalen Gesundheitssysteme. Wir haben mit zwei Unternehmen gesprochen, die sich mit der GIZ und weiteren Partnern auf die Reise gemacht haben, um eine qualitative und praxisnahe Ausbildung in Bereich der Biomedizintechnik in Afrika aufzubauen.
Unternehmerische Initiativen im Globalen Süden sind in aller Regel aufwendig: Sie verlangen Regional- und Fachkenntnisse, Kreativität, Organisation, Netzwerke – aber eben auch Durchhaltevermögen, Resilienz und nicht zuletzt: Finanzierung. Trotzdem eröffnen sich auch enorme unternehmerische Chancen, mit eigenen Ideen, Produkten und Verfahren für nachhaltige Transformationen in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu sorgen.
Was, wenn alle ihr Wissen in die Waagschale werfen?
Seit 25 Jahren fördert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit dem Programm develoPPP unternehmerische Projekte, die wirtschaftliche und entwicklungspolitische Ziele wirkungsvoll kombinieren. Viele der geförderten Projekte fokussieren den Gesundheitsbereich. Die Partner schulen medizinisches Fachpersonal vor Ort, führen moderne Medizintechnik und Verfahren ein, entwickeln und optimieren Standards, stärken Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung oder fördern die Gesundheitsversorgung in entlegenen Gebieten.
In vielen Fällen starten Unternehmen solche Projekte auf eigene Faust. Was aber, wenn sich mehrere Unternehmen zusammentun, um gemeinsam mehr zu erreichen? Wenn jeder Partner seine Erfahrung, Expertise und Technologie in die Waagschale wirft? Und wenn dann noch Partnerorganisationen aus der Wissenschaft dafür sorgen, dass das Vorhaben maximal „wirkt“ und auf der Höhe des aktuellen Forschungsstands operiert? Dann können Konstellationen entstehen, deren Wirkungen besonders effektiv und nachhaltig für die jeweilige Zielregion sind.
Alle Partner im Überblick
Wenn einer eine Reise tut…
Genau dies ist das Ziel und der Ansporn der Unternehmen, B. Braun, Drägerwerk und Sysmex Europe SE. Die Medizintechnikhersteller sind Teil der German Health Alliance (GHA) , ein Zusammenschluss von über 120 deutschen Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und wissenschaftlichen Einrichtungen, der sich auf internationale Gesundheitspartnerschaften konzentriert und sich für die Stärkung von Gesundheitssystemen weltweit einsetzt – organisiert und orchestriert vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Zusammen mit den Industriepartnern Area9 Lyceum, Delft Imaging Systems B.V. und dem Aachen Institute of Applied Science (AcIAS) haben sich die Unternehmen über das develoPPP-Programm der GIZ aufgemacht, um im Globalen Süden Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung anzustoßen. Mittlerweile arbeiten sie seit vielen Jahre so eng und vertrauensvoll zusammen, dass Kooperation einer Symbiose gleichkommt: Jedes der beteiligten Unternehmen bringt Technologien, Erfahrungen und Verfahren ein, die sich ergänzen. Gemeinsam wächst man an den Aufgaben, Kräfte werden gebündelt, wissenschaftliche Unterstützung eingeholt. Und das lohnt sich: „Dadurch, dass wir ähnliche Kundengruppen haben, stoßen wir auch auf ähnliche Herausforderungen. Und diese lassen sich gemeinsam deutlich schlagkräftiger überwinden als alleine“, findet Kerstin Heimel-Ventura. Sie ist Vorstands-Vize der GHA und verantwortet bei B. Braun den Bereich Internationale Entwicklungszusammenarbeit.
... dann kann er was bewirken
Manchmal reicht ein Gespräch am Rande, um etwas Großes zu starten. Die Geburtsstunde dieser außergewöhnlichen Partnerschaft war eine Veranstaltung der GHA. „Ich hatte dort während einer Kaffeepause eine Kollegin von der GIZ getroffen und wir hatten uns darüber unterhalten, dass es auf dem afrikanischen Kontinent vielerorts an Medizintechnik und dem dafür nötigen Know-how fehlt. Und dabei waren wir uns schnell einig, dass sich Entwicklungszusammenarbeit und Industrie zusammentun müssten, um Medizintechnikerinnen und -techniker mit moderner Technologie auszustatten und optimal daran auszubilden“, erinnert sich Kerstin Heimel-Ventura.
Für eine ganzheitliche Ausbildung als Medizintechniker:in ist es wichtig, dass die Auszubildenden und Studierenden unterschiedliche Verfahren und Technologien kennenlernen. So müssen beispielsweise Labore entsprechend ausgestattet, und Know-how in Lehrpläne überführt werden. Da kein Unternehmen das gesamte Spektrum der Medizintechnik abdeckt, holten B. Braun und Sysmex mit Hilfe des Netzwerks der GIZ Partner aus Industrie und Wissenschaft an Bord, um ein möglichst großes Angebot an Produkten für die Medizintechnik bedienen zu können.
Gewachsenes Vertrauen als Basis
Dennoch ist das Vertrauen weitergewachsen, wie Mario Geißler, International Account Manager bei Sysmex Europe, unterstreicht: „Die Schlagkraft, die sich ergibt, wenn Unternehmen zusammenagieren, hat sich erst so richtig entwickelt, als die Zusammenarbeit mit Unterstützung der GHA und der GIZ losging. Über den Austausch und die gemeinsame Projektarbeit bestätigte sich, dass diese gemeinsame Reise wirklich Sinn für uns alle macht und wir für das Gesundheitswesen in den Zielländern etwas Nachhaltiges bewegen können.“
Nachdem sie bereits die Ausbildungsvoraussetzungen für angewandte Biomedizintechnik an zwei Hochschulen in Kenia und Senegal verbessert haben, kümmern sich die Partner seit April 2023 um die marktorientierte Qualifizierung von ghanaischen Hochschulabsolvent:innen und Berufstätigen. „Ziel des Programms ist, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verantwortungsbewusst mit Medizingeräten in den Krankenhäusern umgehen lernen“, sagt Torsten Wagner, Professor am Fachbereich Medizintechnik und Technomathematik der Fachhochschule Aachen. Er unterstützt bei der Auswertung der Ausbildungsinhalte bestehender Biomedizintechnik-Studiengänge an zwei Universitäten in Ghana. Basierend darauf erarbeitet er ein Konzept für neue beziehungsweise angepasste Lehrpläne, die mehr Praxisnähe gewährleisten und internationalen Standards entsprechen. „Während wir in Deutschland vorwiegend für die Industrie und für Forschung und Entwicklung ausbilden, müssen wir in afrikanischen Ländern insbesondere das Anwender-Wissen in medizinischen Einrichtungen stärken“, so Wagner. Hier kommen die beteiligten Unternehmen ins Spiel: Sie schulen im Rahmen des Train-the-trainer Ansatzes das Lehrpersonal und stellen die Medizintechnik, mit der die Labore an den Hochschulen ausgestattet werden und an denen die Studierenden praxisnah ausgebildet werden können. Es ist dieser Fokus auf Praxisnähe, der die Medizintechnik-Ausbildung deutlich aufwertet.
Auch die Reputation steht auf dem Spiel
Dies läge auch im Interesse der Hersteller. Medizinprodukte deutscher Hersteller sind oft etwas teurer als Konkurrenzprodukte beispielsweise aus Asien. Sind die Geräte dann am Zielort eingetroffen und in Betrieb, sind die Hersteller in der Zwickmühle: Einerseits ist es nicht effizient und zielführend, dauerhaft und ständig Fachleute für Wartung und Reparaturen aus Deutschland nach Afrika zu schicken. Zum anderen hänge auch die Reputation des Unternehmens vom korrekten Einsatz seiner Produkte ab: „Es ist schlichtweg schlechte Werbung, wenn Geräte mit dem eigenen Firmenlogo defekt und ungenutzt herumliegen“, so Wagner.
Zudem will das Projekt die Rolle des Medizintechnikers stärken und so den Zugang zu Diagnose- und Therapiermöglichkeiten verbessern: „Wir wollen dazu beitragen, dass die Medizinprodukte lange und möglichst gut in diesen Ländern eingesetzt werden können. Denn allen muss klar sein, dass letztlich Menschenleben davon abhängen, dass die Geräte gut und sicher bedient und gewartet werden“, sagt Torsten Wagner. So werde darauf geachtet, dass die entwickelten Lehrpläne internationalen Standards entsprechen und gleichzeitig zu den individuellen Bedingungen der jeweiligen Hochschule passen: „Schwierig ist, wenn man sagt, die Erfahrung aus den anderen Ländern ist doch schon da, wir müssen es jetzt nur überstülpen auf das nächste Land, die nächste Hochschule. Wir wollen stattdessen gemeinsam mit den Universitäten arbeiten; sie sollen für sich definieren, was und wie sie die Lehre bestreiten, denn schließlich ist es deren Studiengang. Was wir machen können, ist zu beraten.“
Dass dieser Ansatz Früchte trägt, spricht sich herum. Bereits die Vorgängerprojekte im Senegal und in Kenia haben die Nachbarländer inspiriert. Sie haben eigene Konsortien und Initiativen ins Leben gerufen, in denen daran gearbeitet wird, die Ausbildung zu formalisieren. „Wenn es uns gelingt, dass tatsächlich vielerorts diese Ausbildung einen Standard annimmt, den wir gutheißen, dann hätten wir ein ganz großes Stück zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung in diesen Ländern beigetragen“, sagt Kerstin Heimel-Ventura von B. Braun. Und Mario Geißler von Sysmex ergänzt: „Vielleicht entdecken wir irgendwann ein Curriculum für einen Studiengang oder eine Ausbildung, an dem wir alle nicht beteiligt waren. Wenn uns das wie ein Déjà-vu vorkommt, haben wir es eigentlich richtig gemacht.“
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