Neue Förderinitiative – und ein Kontinent als „kreative Supermacht“
Beim 6. Zukunftsforum „Globalisierung gerecht gestalten“ des Bundesentwicklungsministeriums stand die Kultur im Mittelpunkt – und damit das wirtschaftliche und entwicklungspolitische Potenzial der Kreativwirtschaft. Zu Gast unter anderem: Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters, der Regisseur Tom Tykwer, die Produzentin Isabelle Rorke und die Autorin Tsitsi Dangarembga.
„Afrikas Kreativität ist Afrikas Reichtum“, betonte der Gastgeber des Zukunftsforums, Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller. Der „Kontinent der Vielfalt“ solle auch in Europa sichtbarer werden, so Müller: „Afrika ist ein junger Kontinent, der über ein unglaubliches kreatives Talent verfügt – Design aus Kenia, Mode aus dem Senegal, Musik aus Marokko, Fernsehen aus Nigeria, Animationsfilme aus Südafrika. Die Nachfrage nach Kreativprodukten aus Afrika ist hoch, sei es bei internationalen Streaming-Anbietern oder auf der Paris Fashion Week.“
Im Rahmen der Deutsch-Afrikanischen Jugendinitiative werde bereits heute in den Austausch tausender junger Menschen investiert. „Afrikas Jugend liegt mir am Herzen“, sagte er. „Immer wieder sind es gerade junge Kreative, die neue Lösungen für Herausforderungen vor Ort finden – und daraus erfolgreiche Geschäftsmodelle entwickeln. Kreativität ist ein Wirtschaftsfaktor“, so der Bundesminister. Hier setzt die neue Initiative „Kultur für Entwicklung“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an, die Müller vorstellte: Mit insgesamt 15 Millionen Euro soll zum Beispiel die afrikanische Kreativwirtschaft unterstützt werden – insbesondere die Musik-, Film- und Modebranche. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH ist beauftragt, zusammen mit dem Goethe Institut die Beschäftigungs- und Einkommensperspektiven für Kulturschaffende und Kreative in ausgewählten Partnerländern verbessern.
Nollywood – mehr Filmproduktionen als in Hollywood
In vielen Ländern Afrikas zählt die Kreativwirtschaft zu den wachstumsstärksten Branchen mit guten Jobaussichten: So ist die Filmindustrie in Nigeria, kurz: Nollywood, die zweitgrößte der Welt. Jährlich entstehen hier doppelt so viele Filme wie in Hollywood. Digitale Plattformen ermöglichen Designern, etwa im Modebereich, neue Absatzmärkte. In Äthiopien hat sich die Gaming-Industrie etabliert. Gerade wegen der jungen Bevölkerung – 60 Prozent sind unter 25 Jahren – ließen sich auf dem Zukunftsmarkt aber noch Potenziale heben, unterstrich auch Prof. Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, in ihrer Rede: Die Musikindustrie erziele beispielsweise nur zwei Prozent ihres weltweiten Umsatzes auf dem afrikanischen Kontinent. Dabei habe die Kunst auch gesellschaftspolitisches Potenzial: Es sei wichtig, die kreative Avantgarde zu fördern, damit Visionen Veränderungen bewirken können, so Grütters.
Die Staatsministerin sprach auch den Umgang mit Kulturgütern aus kolonialen Kontexten an. Dafür werde in ihrem Bereich aktuell eine Kontaktstelle eingerichtet. „Afrika hat Unterstützung auf Augenhöhe verdient“, betonte sie, „sei es durch Investitionen, durch Vermittlung von Know-how, was die Rahmenbedingungen für kreatives Schaffen betrifft oder durch künstlerische Zusammenarbeit und kulturellen Austausch.“ Auch Deutschland könne und wolle im kulturellen Austausch sehr viel lernen.
Unter den Gästen im voll besetzten Theater Hebbel am Ufer waren neben einigen Botschafterinnen und Botschaftern afrikanischer Länder auch bekannte Kulturschaffende wie der Regisseur Volker Schlöndorff und Mariette Rissenbeek, die Leiterin der Berlinale, die in wenigen Tagen in unmittelbarer Nähe eröffnet wird. Passend dazu verbreitete der „grüne“ – weil aus Recyclingmaterialien hergestellte – rote Teppich der Filmfestspiele vor der Tür erste Festivalstimmung.
Regisseur Tykwer: „Wir konnten hier nachhaltig Substanz schaffen“
Auf dem Podium kamen Dr. Gerd Müller und Prof. Monika Grütters, moderiert von Annabelle Mandeng, unterdessen mit der Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe sowie dem Filmemacher Tom Tykwer ins Gespräch. Vor zwölf Jahren haben er und Marie Steinmann in Nairobi, Kenia, die Projekte One Fine Day und One Fine Day Films initiiert. One Fine Day führt Interessierte durch Kurse und Workshops an künstlerische Ausdrucksformen heran. Dabei gehe es vor allem darum, die kreative Auseinandersetzung zu fördern, so Tykwer, und es den Teilnehmern zu ermöglichen, die eigene Stimme zu finden. One Fine Day Films, unterstützt vom Bundesentwicklungsministerium, hat sich in Kenia als renommierte Ausbildungsinstanz für die dort wachsende Filmbranche etabliert. Sieben Spielfilme sind aus den Workshops entstanden – darunter auch der erfolgreichste Film Ostafrikas, Nairobi Half Life. „Wir konnten hier nachhaltig Substanz schaffen“, so Tykwer, „vor allem, weil wir hartnäckig geblieben sind.“ Grütters erinnerte daran, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft auch in Deutschland einen enormen Wirtschaftsfaktor darstelle und nach der Finanzbranche auf Rang zwei liege, noch vor der Automobilindustrie.
Lusala feierte 2019 Premiere und ist die aktuellste One-Fine-Day-Films-Produktion. Hauptdarsteller Brian Ogola stellte den Film im Rahmen eines kurzen Panels vor und berichtete von den Schwierigkeiten, Kreativität zu monetarisieren. Dafür müsse die Kulturproduktion vor Ort ein hohes, professionelles Level erreichen. Tsitsi Dangarembga wünschte sich dafür mehr partnerschaftliche Unterstützung zur Stärkung der Strukturen vor Ort – statt Helfern, die es besser wissen.
„Wir wollen gemeinsam Geschäfte machen“
„Wir müssen niemandem auf die Beine helfen“, so auch Musikmanager Joe Chialo, Geschäftsführer des Musiklabels Afroforce1, ein Joint Venture mit Universal Music South Africa. Schließlich sei Afrika eine „kreative Supermacht“. Sein Label will Künstlerinnen und Künstlern den Zugang zu einem größeren Publikum ebnen. Fair Trade, Gleichberechtigung und Augenhöhe seien dabei sehr wichtig, so Chialo: „Wir wollen ja gemeinsam Geschäfte machen.“ Isabelle Rorke, Produzentin aus Südafrika, hob die Bedeutung der Kreativwirtschaft in ihrer Heimat hervor: Gerade jungen Leuten böte sie gute Möglichkeiten, ihre Familien zu ernähren. „Wir sind eine der fünf wirtschaftsstärksten Branchen“, so Rorke. Die Digitalisierung zeige hier neue Chancen auf und mache vieles zugänglicher. So schaffe sie nicht nur einen globalen Markt, sondern eröffne mit kreativen Ansätzen wie Virtual Reality und Gamification auch neue Möglichkeiten zur Wissensvermittlung. Rorke zeigte sich optimistisch: Im Bereich der Film- und Kreativwirtschaft sieht sie zahlreiche Möglichkeiten zur Kooperation mit Akteuren aus Deutschland und Europa.
Ähnlich Sophie Zinga, Modedesignerin mit Sitz in Senegal, die im Hebbel am Ufer ihre aktuelle Kollektion präsentierte: Auch sie sprach von „unendlichen Kooperationsmöglichkeiten“ – zum Beispiel mit der Bekleidungsindustrie oder mit Designschulen im Senegal und den Nachbarländern. Die GIZ vernetzt schon heute deutsche und afrikanische Kreativunternehmen – zum Beispiel hat sie Kooperationen im Rahmen des Capetown International Animation Festival und mit der Popakademie Baden-Württemberg ermöglicht. „In der Kreativwirtschaft liegt unheimliches Potenzial für die internationale Zusammenarbeit. Je besser wir zusammenarbeiten, desto größer ist die Chance auf nachhaltiges Wachstum“, stellte Karla Beteta, Senior-Beraterin für die Kreativbranche bei der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung, beim anschließenden Get-together fest: Schließlich können die Kultur Kräfte entfalten wie kaum eine andere Branche.
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