Was bedeutet die Coronakrise für Investitionen in Entwicklungsländern?
Coronatagebuch, Folge 1: Die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen haben den Alltag weltweit auf den Kopf gestellt. Wir haben Partner in unserem Netzwerk gefragt: Wie trifft sie die Krise? Wie reagieren sie darauf? Und wie ändern sich die Perspektiven? Den Auftakt machen Carolin Welzel und Hans-Joachim Hebgen, die bei der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung Unternehmen zu Investitionen in Zukunftsmärkten beraten.
AWE: Frau Welzel, Herr Hebgen, was hat sich seit Anfang März in Ihrem Berateralltag geändert?
Welzel: Anfang April startete die COVID-19 Response im Rahmen des develoPPP-Programms. Mit Mitteln aus dem Programm werden unternehmerische Maßnahmen gefördert, die helfen, die negativen Auswirkungen der Coronakrise in Entwicklungs- und Schwellenländern abzumildern. Wir waren von Beginn an für die Hotline zuständig. Dort gingen jede Menge Anfragen ein – auch aus dem Ausland.
Hebgen: Die allgemeinen Beratungsanfragen sind hingegen zurückgegangen. Dies betrifft vor allem KMU. Größere Unternehmen, die eher über die personellen und finanziellen Voraussetzungen verfügen, nutzen die Zeit, um weiter an langfristigen Projekten in Entwicklungs- und Schwellenländern zu arbeiten, und lassen sich dabei von der AWE zu Förder- und Finanzierungsinstrumenten beraten.
AWE: Sonst beraten Sie vor allem kleine und mittelständische Unternehmen. Was treibt diese zurzeit um?
Hebgen: Für kleinere Unternehmen stellt sich die Situation oft schwieriger dar. Projekte, die vor Covid-19 aussichtsreich diskutiert oder strukturiert wurden, sind „on hold“. Teilweise liegt das an der wirtschaftlichen Ungewissheit in vielen Branchen, teilweise behindern auch ganz konkret Restriktionen im Reiseverkehr die Weiterverfolgung von Vorhaben. Lateinamerika, Indien und weite Teile Afrikas fallen angesichts der Infektionsentwicklung derzeit als Standorte weitgehend aus.
AWE: Welche Fragen hören Sie zurzeit am häufigsten? Und was ist Ihr wichtigster Hinweis für Unternehmen in Pandemiezeiten?
Welzel: Die Unternehmen suchen eine möglichst weitgehende finanzielle Förderung, eine umfassende Beratung sowie eine institutionelle Unterstützung – bis hin zur politischen Begleitung. Auch wenn die COVID-19-Förderung von develoPPP momentan ruht, gibt es noch einige spezielle Angebote, zu denen wir beraten können, beispielsweise die COVID-19 Response von AfricaConnect bei der DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH, eine Liquiditätshilfe in Pandemiezeiten.
Hebgen: Unser Rat an Unternehmen: Mehr denn je sollten sie ihr Umfeld, ihre Märkte und die Bedingungen in Entwicklungsländern gut kennen und ihre eigenen Möglichkeiten realistisch einschätzen, bevor sie neue Schritte wagen. Bei der Analyse von Märkten und Kooperationsmöglichkeiten sollten die bestehenden Netzwerke in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit noch intensiver genutzt werden. Es gilt noch stärker als früher: Unternehmerische Erwartung trifft ausländische Realität.
AWE: Veranstaltungen und Dienstreisen fallen weg, die Beratungen finden „remote“ statt. Wie pflegen Sie Ihr Netzwerk digital?
Welzel: Das ist auf Dauer eine Herausforderung. Je länger die Einschränkungen dauern, desto wichtiger wird es, zum Telefon zu greifen, soziale Netzwerke zu nutzen oder sich bei Kolleginnen oder Partnern einfach mal zwischendurch per E-Mail zu melden. Online-Seminare sind eine gute Möglichkeit, den inhaltlichen Austausch zu pflegen. Viele Institutionen wie der Afrikaverein, die Entwicklungsbanken oder große Verbände haben rasch reagiert und bieten jetzt ihre Workshops online an.
AWE: Welche langfristigen Folgen wird die Pandemie für im Ausland engagierte deutsche Unternehmen haben?
Hebgen: Die wirtschaftliche Situation im Inland hat sich zumindest vorübergehend verschlechtert. Viele Unternehmen werden ihr Auslandsengagement erst einmal nicht ausweiten. Die Pandemie hat ja auch viele Entwicklungsländer getroffen, sodass dort die lokale Wirtschaft und damit die Kaufkraft schwächeln werden. Für Investitionen sind diese Standorte dadurch erstmal weniger interessant. Generell ist derzeit das Risiko für Unternehmen, die in Entwicklungsländern investieren wollen, größer geworden.
Welzel: Das gilt auch für eigentlich attraktive Schwellenländer wie beispielsweise Brasilien. Möglicherweise wird die Globalisierung der deutschen Wirtschaft insgesamt Änderungen unterworfen, Internationalisierungsstrategien werden mit Sicherheit überdacht. Manche Industriezweige werden Produktionsstätten nach Deutschland zurückverlagern. Lieferketten müssen neu organisiert werden.
AWE: Was wird sich dadurch für Ihre Beratungen ändern?
Hebgen: Mehr denn je gilt: Projekte müssen gut strukturiert, Finanzierungen durchdacht werden. Länder- und Projektrisiken müssen systematisch analysiert werden – und vor allem beherrschbar bleiben. Das Risikomanagement wird stärker in den Fokus rücken. Wir werden auch sehr auf eine gute Bonität der Unternehmen achten. Denn nur mit ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen können Projekte in einem schwierigen Umfeld überhaupt gestemmt werden.
AWE: Können die Angebote der Entwicklungszusammenarbeit in der Krise auch eine Chance sein?
Welzel: Ganz bestimmt. Wenn Unternehmen nun stärker darüber nachdenken, wie sie ihre Geschäftsmodelle resilient und krisenfest machen können, wird das für das Thema Nachhaltigkeit sehr positiv sein. Eine kurzfristige Gewinnorientierung – das zeigt die Coronakrise – führt ganz schnell zum geschäftlichen Aus. Unternehmen, die ihre Lieferketten und Lieferantenbeziehungen, ihre Produktionsweise und ihr Business Development mit Sorgfalt gestalten, haben größere Chancen zu überleben.
Hebgen: Wir ermutigen die Unternehmen, unsere Beratung und die vielfältigen Förder- und Finanzierungsangebote zu nutzen, die das BMZ und Institutionen wie die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, die DEG oder die KfW bieten. Dazu gehören auch die Netzwerke im Ausland und Ansprechpartner wie ExperTS, das Global Business Network sowie die Außenbüros von KfW und DEG.
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