CASSANOVAS – von der Knolle bis zum Chip – made in Nigeria
Die deutsch-nigerianische Firma Pacific Ring West Africa stellt in Nigerias Hauptstadt Abuja Chips aus Cassava-Wurzelknollen her, die unter dem Namen CASSANOVASTM vertrieben werden. Damit die zuliefernden Bäuerinnen und Bauern Cassava in ausreichender Menge und guter Qualität liefern können, erhalten sie im Rahmen eines develoPPP-Projekts Trainings in nachhaltigen Anbautechniken. Von dieser Unterstützung, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fördert, profitieren die Bäuerinnen und Bauern gleichermaßen wie Pacific Ring. Wir sprachen darüber mit dem Agraringenieur Stefan Praßel, der als integrierte Fachkraft bei Pacific Ring in Nigeria die develoPPP-Zusammenarbeit koordiniert.
AWE: Wie kam Pacific Ring auf die Idee, in Nigeria Snacks zu produzieren?
Stefan Praßel: Pacific Ring ist ein deutsches Unternehmen, dessen Geschäftsführer Thomas Hirsch familiäre Verbindungen nach Nigeria hat. Das Land ist der größte Cassava-Produzent weltweit. In Indonesien, wo auch viel Cassava angebaut wird, sind Cassava-Chips sehr beliebt. Da sahen wir in Nigeria auch ein ähnlich großes Potenzial. Bisher habe ich in Westafrika nur selbstgemache Cassava-Chips gesehen, die weder verpackt noch professionell vermarktet werden. So entstand die Idee für die CASSANOVAS – man beachte das Wortspiel des Markennamens –, die wir seit 2018 produzieren.
AWE: Wie würden Sie das Investitionsklima in Nigeria beschreiben? Welchen Herausforderungen steht ein deutscher Unternehmer dort gegenüber?
Praßel: Nigeria ist mit einer Bevölkerung von über 200 Millionen Menschen die größte Volkswirtschaft in Afrika und verfügt über die größte Kaufkraft des Kontinents. Die Wirtschaft Nigerias wird vom Rohöl dominiert. Andere wichtige Wirtschaftssektoren sind Industrie und Landwirtschaft. Einige Faktoren, die das Investitionsklima beeinträchtigen, sind die unzureichende Energieversorgung, fehlende Transportinfrastruktur sowie die hohe Volatilität der Währung.
In Sachen Digitalisierung ist Nigeria übrigens in vielen Bereichen deutlich weiter als Deutschland. Man kann zum Beispiel über eine einzige App Strom- und Wasserrechnungen und sogar Exportgebühren bezahlen.
In Nigeria zu investieren, ist jedoch nicht einfach. Man braucht Zugänge über im Land bereits ansässige Firmen oder andere hilfreiche Kontakte, um Fuß zu fassen. Allein Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen zu bekommen, kann zum großen Hindernis werden.
Ein beträchtliches Problem stellt dabei die Sicherheitslage dar. Aber das war uns bewusst, als wir uns entschieden, das ungenutzte landwirtschaftliche Potenzial des Cassava-Anbaus zu aktivieren.
AWE: Welches Potenzial bietet der nigerianische Ernährungssektor?
Praßel: Mit einem Bevölkerungswachstum von jährlich drei bis vier Millionen Menschen ist Nigeria für die Ernährungssektor ein interessanter Markt mit einer kaufkräftigen Mittelklasse. Die Landwirtschaft ist in Nigeria nicht gut organisiert. Die Erträge sind gering und die landwirtschaftlichen Praktiken wenig nachhaltig. Hier hat das Land großen Nachholbedarf. Gleichzeitig liegt viel Land brach und auch hier sehen wir viele Möglichkeiten. Die Produktionskosten sind hoch und die meisten Felder werden ohne Maschinen bearbeitet. Durch hohe Nachernteverluste und schlechte Zugänge zu Märkten können Landwirte nur bedingt stabile Einkommen erwirtschaften.
Im Anbau von landwirtschaftlichen Produkten nimmt Nigeria einen Spitzenplatz ein. Nigeria ist weltweit der größte Produzent von Cassava. Die natürlichen Voraussetzungen ermöglichen eine ertragreiche landwirtschaftliche Produktion. Immerhin steuert die Landwirtschaft ein Viertel zum Bruttoinlandsprodukt bei und die wirtschaftlichen Potenziale sind enorm. Mit einer Steigerung der Erträge und dem Aufbau stabiler Lieferketten von der Produktion auf dem Feld bis hin zur Weiterverarbeitung können Landwirte und Industrie gleichermaßen profitieren.
Eine Steigerung der Erträge kann durch gezielte Schulungen von Bauern erreicht werden. Hier setzen wir an.
AWE: Wie unterstützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit Sie bei Ihrem Engagement?
Praßel: Unser Kerngeschäft ist die Produktion und Vermarktung der CASSANOVAS. Durch die Kooperation mit dem develoPPP Programm und den „Grünen Innovationszentren in der Agrar- und Ernährungswirtschaft“ können die Bäuerinnen und Bauern, die uns beliefern, an regional durchgeführten Trainings für Good Agricultural Practise teilnehmen.
Normalerweise werden die Trainingsprogramme für den Anbau von Cassava nur im Süden des Landes angeboten. Im Rahmen des Projektes mit der GIZ wurden Berater des Ministeriums für Landwirtschaft in Nasarawa zu Trainern ausgebildet. Trainings für die Landwirte im Rahmen des develoPPP-Projektes wurden von den Grünen Innovationszentren, Pacific Ring und den neuen Trainern gemeinsam durchgeführt.
Dazu haben wir auch das Trainingsmaterial im Bereich zu Buchhaltung und guten landwirtschaftlichen Praktiken an die lokalen Verhältnisse in unserer Region angepasst.
Die Grünen Innovationszentren bilden in erster Linie die Bäuerinnen und Bauern aus, damit sie ihre Produktion steigern, ihre Landwirtschaft nachhaltig betreiben und so ihren Anschluss an den Markt erhalten oder aufbauen können. In Farmer Business Schools lernen sie unter anderem die wichtigsten Grundlagen zu Buchhaltung und Investitionen.
Davon profitieren die Bäuerinnen und Bauern und Pacific Ring gleichermaßen. Das Projekt hilft uns, eine hochwertige Wertschöpfungskette aufzubauen – vom Cassava-Anbau bis hin zum fertigen Produkt und dessen Vermarktung. Und das alles in eigener Hand und ohne Zwischenhändler!
Außerdem öffnete uns das GIZ-Büro in Nigeria viele Türen, etwa beim Agrarministerium.
AWE: Wie kam der Kontakt zu develoPPP zustande?
Praßel: Wir stellten unsere Geschäftsidee dem BMZ vor. Die zuständige Referentin verwies uns für eine Erstberatung an die Agentur für Wirtschaft und Entwicklung, die uns an das develoPPP Programm vermittelte. Nach der Teilnahme am develoPPP-Ideenwettbewerb kam ein zweijähriges Projekt zustande, das unter anderem die Finanzierung meiner Stelle als integrierte Fachkraft bei Pacific Ring und die Trainings beinhaltet.
AWE: Wie können Sie mit ihrem Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung in Nigeria beitragen?
Praßel: Derzeit beträgt die Cassava-Ernte in der Projektregion unter sechs Tonnen pro Hektar. Unsere Baseline-Studie geht davon aus, dass der Ertrag mit einfachen Mitteln verdoppelt oder sogar verdreifacht werden kann. Damit können die Bäuerinnen und Bauern ihr Einkommen deutlich erhöhen. Wir wollen langfristig in der Firma ein eigenes landwirtschaftliches Berater-Team mit lokalem Personal aufbauen, das die Bäuerinnen und Bauern fachlich unterstützt und auf den Erfahrungen der Trainings der GIZ aufbaut.
In diesem Jahr wollen wir auch ein neues Trainingsprogramm etablieren, das Bäuerinnen und Bauern dabei unterstützt, sich in Gruppen von 30 bis 75 Produzentinnen und Produzenten zusammenzuschließen. Mit diesen Gruppierungen und dem Aufbau von Farmer Groups will Pacific Ring langfristige Abnahmeverträge eingehen. Das gibt beiden Seiten mehr Sicherheit: Die Produzierenden erhalten über das Jahr hinweg zuvor festgelegte Preise für ihre Ernte und sind somit weniger Preisschwankungen ausgesetzt. Dagegen sichert sich Pacific Ring eine kontinuierliche Rohproduktlieferung.
Wir gehen auch in Sachen Diversität mit guten Beispiel voran. In unserem Betrieb gibt es keinen Platz für Spannungen zwischen Religionen, Ethnien oder Geschlechtern. Wir wollen zeigen, dass auch Frauen erfolgreich Führungspositionen übernehmen können. Zudem bieten wir ungelernten Arbeiterinnen die Chance, ein Einkommen zu erwirtschaften. Sie können auch ihre Kinder mit zur Arbeit bringen und wir planen, bald eine Kinderbetreuung einzurichten.
AWE: Sie haben 2018 mit der Produktion der Chips begonnen. Wie haben sich die Geschäfte seither entwickelt?
Praßel: Wir haben inzwischen 17 festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zusätzlich kommen jeden Tag zwischen 30 und 50 Frauen in unsere Fabrik, um die frisch angelieferten Cassava-Knollen zu schälen. Wir wollen die Arbeitskraft der lokalen Bevölkerung nutzen, statt Maschinen das Schälen zu überlassen. Damit konnten wir ein gutes Verhältnis zu den Menschen in den Dörfern rund um unseren Produktionsstandort aufbauen.
Aktuell sind wir dabei, auch Chips aus Süßkartoffeln auf den Markt zu bringen. Wir wollen damit für mehr Diversität im Anbau sorgen und gleichzeitig unsere Abhängigkeit von der Cassava-Ernte reduzieren. Zudem überlegen wir, wie wir die angebauten Zwischenfrüchte vermarkten können, denn auf den Feldern müssen Cassava, Mais und Bohnen oder Erdnüsse immer im Wechsel angepflanzt werden.
Viele Leute sind übrigens überrascht, wenn sie erfahren, dass die CASSANOVAS in Nigeria produziert werden. Wegen des professionellen und modernen Designs der Verpackung vermuten sie oft, dass die Chips wie so viele andere Produkte importiert werden. Wir planen, in den nächsten Jahren die Produktion noch deutlich zu erhöhen.
AWE: Wo lagen die größten Hindernisse und was waren Ihre Antworten darauf?
Praßel: Die Corona-Pandemie hat uns viele Probleme beschert. Einige Trainings konnten nur online stattfinden. Allerdings haben viele Bäuerinnen und Bauern keinen Laptop und oft eine schlechte Internetverbindung. Wir mussten die Anzahl der Teilnehmenden an den Trainings wegen Corona reduzieren. Dadurch mussten mehr Trainings stattfinden, was wiederum die Kosten erhöhte.
Auch die Vorstellung des Projekts beim Bundesministerium für Landwirtschaft in Nassarawa State war nur virtuell möglich. Um das Projekt bekannter zu machen, wären persönliche Treffen natürlich viel hilfreicher.
Hinzu kam eine verschärfte Sicherheitslage, die Reisen in das Projektgebiet zeitweise verhinderte und die Durchführung der Trainings erschwerte. Da half es nur, flexibel zu bleiben.
Wir hatten gerade die ersten Container ausgeliefert, als die Pandemie den Export wieder zum Erliegen brachte. Viele Schiffe laufen Nigeria nicht an, weil es kein typisches Exportland ist. Und die Frachtkosten sind durch die Corona-Pandemie stark gestiegen.
AWE: Pacific Ring produziert sowohl für den nigerianischen Markt als auch für den Export – was ist Ihre Planung für die weitere Entwicklung dieser beiden Märkte?
Praßel: Unser Hauptmarkt ist Nigeria. Wir haben hier ein Team aufgebaut, das die CASSANOVAS in den großen Supermarktketten und auf Märkten vertreibt. Der informelle Sektor ist für uns sehr wichtig, über ihn laufen drei Viertel des Umsatzes. Deshalb man kann CASSANOVAS unter anderem in Miniläden und auf Märkten sowie bei Straßenhändlern bekommen.
Momentan verkaufen wir die CASSANOVAS vor allem in der Region Abuja. Aber wir sind dabei, auch in Lagos und anderen Städten Fuß zu fassen. Die Stadt ist ein riesiger Markt, denn im Großraum Lagos leben mehr als 20 Millionen Menschen.
In Europa liegt unser Fokus momentan noch auf Deutschland. Wir waren im Oktober auf der Lebensmittelmesse ANUGA in Köln vertreten, als einziger Stand aus Nigeria und konnten dort neu interessante Kontakte knüpfen. In einem nächsten Schritt möchten wir im Sortiment der großen deutschen Supermarktketten vertreten sein. Die Süßkartoffel-Chips, die wir in Zukunft produzieren wollen, sind für den europäischen Markt besonders interessant, denn dort sind Süßkartoffeln wesentlich bekannter als Cassava. Der europäische Markt ist für uns sehr attraktiv, aber in Anbetracht der großen Bevölkerung Nigerias und der anderen westafrikanischen Staaten ist das dortige Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft.
Ein wichtiges Ziel des Projekts ist es, die gesamte Wertschöpfungskette abzubilden, wobei alle Schritte in Nigeria erfolgen: von der Zusammenarbeit mit ausgebildeten Landwirten über die Verarbeitung und Verpackung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse bis hin zur Vermarktung von hoch qualitativen Snacks nach internationalem Standard.
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