Grüner Beton: Auf nachhaltige Lösungen bauen

Auf dem Campus der Koforidua Technical University (KTU) in Ghana steht ein mysteriös anmutendes zylinderförmiges Gebilde. Gebaut aus Ziegeln, mit einer Haube aus Stahl, und durch Leitungen mit Kochtopf ähnlichen Behältern verbunden, wirkt es wie eine Mischung aus Chemielabor, Minikraftwerk und Zeitmaschine. Diese recht simple Konstruktion hat es in sich: Sie könnte helfen, ein Problem zu lösen, das Afrika spätestens dann betrifft, wenn die Großstädte des Kontinents weiter zu Metropolen anwachsen. Es handelt sich um eine Pyrolyse-Anlage, die Materialien für die Zement- und Betonproduktion herstellt - und zwar aus Reststoffen, die bei der Lebensmittelherstellung entstehen.
Die Pyrolyse-Anlage entstand in einer Zusammenarbeit zwischen der ghanaischen Koforidua Technical University (KTU) und der deutschen Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (in der Vorforschung) und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert, adressiert das Projekt ein gewichtiges Problem: Die weltweite Produktion von Zement verursacht derzeit acht Prozent der globalen CO2-Emissionen. Gleichzeitig entwickeln sich Afrikas Städte zu Metropolen, da Menschen in die Städte strömen, um Arbeit zu suchen. Aktuelle Berichte (Quelle: OECD, Africa’s Urbanisation Dynamics 2025) gehen davon aus, dass sich Afrikas urbane Bevölkerung bis 2050 von 700 Millionen auf 1,4 Milliarden Menschen verdoppeln wird. Schätzungen sehen Städte wie Lagos, Nairobi oder Daressalam auf bis zu 30 Millionen Einwohner anwachsen (Quelle, 2022). Das erfordert viele neue Häuser und damit Zement und Beton – eine beständige Quelle für weitere klimaschädliche CO₂-Emissionen. Diese Emissionen einzudämmen ist für die Länder Afrikas eine große Herausforderung - oder ist es vielleicht auch eine Chance?
Gemeinsam nachhaltige Lösungen entwickeln
„Afrikanische Herausforderungen erfordern afrikanische Lösungen", sagt Wolfram Schmidt. Der Senior Researcher bei der BAM hat das Projekt mit ins Leben gerufen, koordiniert die Arbeit und unterstützt häufig auch vor Ort. „Man kann Afrika nicht verbieten, zu bauen, oder ihnen unsere Technologien aufzwingen und damit den Kontinent von westlichen Vertriebskanälen abhängig machen“, sagt Schmidt. „Aber man kann Afrika dabei helfen, eigene, klimafreundliche Lösungen zu finden.“ In dem Fall lautet die Lösung: Nahrungsmittelreste aus landwirtschaftlicher Produktion, die in Afrika auf dem Land überall zu finden sind, nicht zu entsorgen, sondern zur Produktion von grünem Zement oder Beton zu verwenden. Das senkt nicht nur die CO₂-Emissionen, sondern auch die Produktionskosten. Neue Unternehmen können entstehen, die lokales Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze schaffen. Mehr Geld würde in Afrika verbleiben, da es nicht für Zementimporte verwendet werden müsste.
Die Pyrolyse-Anlage auf dem Campus der KTU ist für Wolfram Schmidt kein Projekt, sondern Teil einer Mission. Bereits seit 2009 beschäftigt sich der promovierte Diplom-Ingenieur und Experte für Baustofftechnologie mit der Produktion nachhaltigerer Baustoffe. Zwischen 2016 und 2018 errichtete Schmidt zusammen mit Dr. Kolawole Olonade von der University of Lagos auf dem Unicampus ein komplettes Musterhaus aus grünem Beton. Grundstoff hierfür waren Schalen der Cassava-Pflanze, auch als Maniok bekannt. Das Haus dient heute unter anderem als Informationszentrum für nachhaltiges Bauen. Für ihre Forschungen bekamen die beiden 2018 den deutsch-afrikanischen Innovationspreis. Ein weiterer Preisträger, Richard Arthur, forscht über Wasserhyazinthen als Energieressource. Über ihn knüpfte Wolfram Schmidt Kontakte zur KTU, die die Pyrolyse-Anlage zusammen mit dem BAM plante und unter der Leitung von Dr. Bright Asante auf dem eigenen Campus errichten ließ. Doch wie entsteht aus Maiskolbenresten und Maniokschalen solides Baumaterial?
Vom Campus der KTU nach ganz Afrika?
Die Idee, Naturprodukte zur Produktion von Baustoffen zu nutzen, ist schon tausende Jahre alt. Bereits die Römer nutzten die Asche vom Vulkan Vesuv, um Mörtel für Gebäude herzustellen. „Diese Zeit wird ein wenig glorifiziert, denn so stabil waren die Gebäude nicht“, sagt Wolfram Schmidt. „Aber der Kerngedanke, Stoffe zu nutzen, die vor Ort vorhanden sind, ist der richtige." Nach etwa anderthalb Jahren Projektlaufzeit inklusive Workshops mit Beteiligten aus der Industrie (Heidelberg Materials und Arup aus Nigeria), produziert die Pyrolyse-Anlage verlässlich Pflanzenkohle. Die Projektbeteiligten konnten bereits zwei Tonnen Biomüll zu Pflanzenkohle verarbeiten. Wolfram Schmidt schätzt, dass mithilfe von Asche, die aus Kohle hergestellt wird, potenziell 25 Prozent des Zements bei der Betonproduktion ersetzt werden können. Dazu wird Pflanzenkohle zu Asche verbrannt. Diese kann dann dem Beton bei der Herstellung untergemischt werden.
Und auch sonst ist in Sachen bio-basierter, grüner Beton die Arbeit noch längst nicht getan: „Ich bin froh, dass wir jetzt etwas zum Anfassen haben. Am liebsten würde ich die Anlage als Vorbild für ganz Afrika vermarkten.“ Dazu braucht es allerdings Partner - aus der öffentlichen Hand, aber auch aus der Industrie. Die österreichische Firma Neulandt, Tochterunternehmen der Umdasch Group, finanzierte Bauteile des Ofens. Die deutsche Firma MC-Bauchemie stellte Laborkapazitäten zur Verfügung und war bei der Planung beteiligt. Ein ganzes Netzwerk an Partnern, zu denen das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), die Volkswagen Stiftung, Förderprojekte des BMBF und auch die GIZ gehören, arbeiten daran, dass afrikanische Betriebe und Unternehmen die Technologie der Pyrolyse-Anlage in Zukunft im größeren Maßstab nutzen können.
Arbeitsplätze schaffen, Landflucht eindämmen
Auch Wolfram Schmidt treibt die Frage um, wie die Pyrolyse-Anlage noch effizienter eingesetzt werden kann „In einer idealen Welt kann man sich diese Anlage auf einen Pick-up-Truck montiert vorstellen, um gleichzeitig zu produzieren und zu liefern,“ sagt Schmidt. Eine andere Vision ist, ein Betonmischwerk inmitten mehrerer landwirtschaftlicher Betriebe anzusiedeln, um die Grundstoffe direkt zu beziehen. Beides könnte neue, auch technisch interessante Arbeitsplätze in ländlichen Regionen schaffen und so Landflucht eindämmen. Eine Möglichkeit, zusätzliches Einkommen zu generieren, bietet die Herstellung von bio-basiertem Beton den Landwirt:innen ohnehin. Denn bislang waren die Zusatzstoffe Abfall, bestenfalls wurden sie kompostiert. Aber auch Biodünger ist ein Nebenprodukt der Pyrolyse.
Der (weltweite) Markt für Biobeton und Biozement muss wachsen, noch ist er ein zartes Pflänzchen – der Bedarf dafür dürfte nahezu unendlich sein. Afrika hätte einen erheblichen Marktvorteil, weiß Wolfram Schmidt: „Deutsche Böden zum Beispiel sind schon sehr stark beansprucht und teilweise ausgelaugt und taugen deshalb weniger zur zusätzlichen Produktion von Biomasse." Im Gegensatz zu Deutschland haben afrikanische Länder noch viel Platz. Insgesamt könnte auf dem Kontinent die Landnutzung und -effizienz so stark erhöht werden, dass die aktuelle landwirtschaftliche Produktion ohne große Anstrengung noch verneunfacht werden könnte. Länder wie Ghana, Nigeria oder Tansania, die viel Maniok produzieren, könnten mit innovativen Produkten wie Biozement vom Weltmarkt unabhängiger werden. Davon profitieren würde potenziell ein ganzes Netzwerk an Unternehmen; nämlich alle, die geeignete Biomasse anbauen, in Anlagen verarbeiten und später vertreiben.
Vom Kofidorua-Campus in Ghana zu Landwirtschaftsbetrieben in Afrika und vielleicht in die ganze Welt: Der zukunftsweisende Weg der Pyrolyse-Anlage, der mysteriöse Bau aus Ziegelstein und Stahl am Campus der KTU, hat gerade erst begonnen.
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