Grünes "Gold" aus Gülle
Grünen Wasserstoff aus Gülle erzeugen und gleichzeitig ein Umweltproblem lösen? Wie so ein Win-Win-Ansatz aussehen kann, zeigt eine Initiative des Energietechnik-Unternehmen mele im brasilianischen Bundestaat Paraná. Das Projekt unter Beteiligung von zwei Landwirtschaftsgenossenschaften hat das Ziel, aus der ökologischen Verwertung von Schweinegülle Wasserstoffderivate zu gewinnen. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH unterstützt das Vorhaben im Rahmen des Förderprogramms International Hydrogen Ramp-Up Programme (H2Uppp) – eine Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Im Interview spricht Helmut Tündermann, Head of Project Development & Sales bei der mele-Gruppe, über das Projektkonzept, die größten Herausforderungen und warum Deutschland beim Thema Wasserstoff keine Zeit verlieren darf.
AWE: Herr Tündermann, seit einigen Jahren ist die mele-Gruppe als Biogas-Projektentwickler in Brasilien aktiv. Welche Auswirkungen hat Gülle dort auf die Umwelt?
Helmut Tündermann: In Brasilien ist der Anfall von Tiergülle ein großes Umweltproblem. Das sind Dimensionen, die kann man sich hier in Deutschland gar nicht vorstellen. Allein in der Region des westlichen Paraná werden rund 40 Millionen Schweine produziert (doppelt so viel wie in ganz Deutschland). Nur in der Region um die Stadt Toledo fallen jährlich rund 7,2 Millionen Kubikmeter Schweinegülle an. Und hinzu kommen noch Hühnergülle und sonstige Verarbeitungsreste. Die Gülle wird bisher kaum umweltverträglich verarbeitet. Stattdessen entstehen durch natürliche Vergärung in der Sonne schädliche Treibhausgase wie Methan oder Lachgas. Die flüssige Gülle mit hohem Stickstoffanteil kann in die Böden versickern, in Flüsse gelangen und das Grundwasser verunreinigen. Die brasilianische Regierung hat das aber mittlerweile erkannt und unterstützt Projekte wie unseres.
AWE: Mele hat einen Weg gefunden, die Gülle nachhaltig für die Gewinnung von grünem Wasserstoff zu nutzen. Was genau haben Sie vor?
Tündermann: Aus dem Biogas in der Gülle kann man zum Beispiel Strom erzeugen oder Biomethan herstellen, aus dem sich grüne Kraftstoffe produzieren lassen. In Brasilien gibt es dafür jedoch noch keinen Markt und keine Infrastruktur. Deswegen konzentrieren wir uns auf Europa. Doch der Transport von Wasserstoff ist schwierig. Mithilfe von Kohlenstoff stellen wir darum ein Wasserstoffderivat her, sogenanntes Syncrude.
Dabei handelt es sich um ein Produkt des Fischer-Tropsch-Verfahrens. Über verschiedene Verfahrensstufen wird H2 und CO2 gewonnen, welches dann in der Fischer-Tropsch-Synthese zu einem Wasserstoffderivat verarbeitet wird. Syncrude lässt sich leichter transportieren als reiner Wasserstoff. Nach Ankunft in Deutschland wird es raffiniert und es entstehen zum Beispiel grünes Kerosin oder andere wasserstoffbasierte Produkte für die Industrie. Gleichzeitig können brasilianische Landwirte die Gülle einer Nutzung zuführen. Wir lösen also ein Umweltproblem und nutzen die Energie, die in der Biomasse steckt, um daraus einen wirtschaftlich positiven Effekt zu erzielen.
AWE: Was sind die nächsten Schritte?
Tündermann: Wir wollen zunächst etwa 30 Biogasanlagen im Bundesstaat Paraná im südlichen Brasilien bauen. Die erste Anlage ist bereits genehmigt, der Baubeginn steht jetzt an. Paraná ist ein Hotspot in der Fleischproduktion mit den geschilderten Gülle-Problemen. Insgesamt stellen uns über 3.000 lokale Erzeuger ihre Gülle zur Verfügung. Die flüssige Gülle wollen wir über Rohrleitungen zu den Anlagen führen, feste Abfallprodukte transportieren wir mit Lkw. Uns kommt entgegen, dass die Regierung in Paraná neue Regeln aufgestellt hat: Landwirte, die sich vergrößern wollen, müssen Gülle ordnungsgemäß entsorgen und interessieren sich deshalb sehr für unser Vorhaben.
Insgesamt wird dieses Projekt eine Investition von ungefähr einer Milliarde Euro auslösen, mit einer jährlichen Produktion von 100.000 Tonnen Syncrude. Die mele-Gruppe bildet mit den Unternehmen Enertrag eine Initiatorengruppe, die das Projekt in der Startphase begleitet. Derzeit sind wir auf der Suche nach Großinvestoren, die vor allem an dem Endprodukt Interesse haben. Das können zum Beispiel große Energiekonzerne oder Fluggesellschaften sein. Daneben kommen auch Finanzinvestoren in Frage. Kurzum: Wir benötigen Partner, die entsprechend Kapital mitbringen. Zu den Aufgaben der GIZ gehört auch, eine passende Finanzierungsstruktur für unser Projekt zu entwickeln. Dabei werden unter anderem auch Finanzierungsprogramme und Fördermittel durchleuchtet. Aber das braucht Zeit. Allein um die Biogasanlagen zu bauen, rechnen wir mit vier Jahren. Außerdem werden wir auch grünen Strom und weiteren Wasserstoff aus der Elektrolyse erzeugen müssen. Dafür ist unser Partner Enertrag wichtig.
AWE: Wie stehen die Marktchancen für deutsche Unternehmen im Wasserstoffsektor in Brasilien?
Tündermann: Die Chancen sind groß, aber Unternehmen brauchen einen langen Atem. Sie müssen Vertrauen aufbauen, sie brauchen Netzwerke, Kontakte zur Regierung und portugiesisch-sprachige Mitarbeiter. Das ist ein langwieriger Prozess. Wenn sie allerdings einmal ein Mustervorhaben etabliert haben, können sie es leichter an anderen Standorten einführen und somit hochskalieren. Das ist auch ganz im Sinne der GIZ.
Wasserstoff aus Gülle
AWE: Wie blicken Sie in die Zukunft?
Tündermann: Wichtig ist für uns jetzt die Unterstützung von der GIZ, weil sie uns eine entsprechende Aufmerksamkeit gibt. Es gibt derzeit viele große Veranstaltungen zum Thema Wasserstoff in Lateinamerika. Die GIZ ist häufig vertreten und nimmt das zum Anlass, um unser Projekt im Rahmen von H2Uppp vorzustellen. Allein dadurch bekommt es eine große Öffentlichkeit. Gleichzeitig führt die GIZ eine Due Dilligence durch, eine wirtschaftliche und technische Analyse. Für den Bau der Anlagen, für den Grundstückkauf und für alle anschließenden Vorhaben benötigen wir dann natürlich eine Finanzierung über Investitionen. Wir sprechen bereits mit einigen größeren Kraftstoff- und Energiekonzernen sowie politischen Entscheiderinnen und Entscheidern.
Mein Fazit: Wenn wir in Deutschland Wasserstoff langfristig als Grundstoff in der Energieerzeugung nutzen wollen, dann müssen wir jetzt investieren und Brasilien mit Projekten zu unserem zukünftigen Partner machen.
Das Gülle-Problem in Paraná
Der brasilianische Bundesstaat Paraná ist ein Kerngebiet der brasilianischen Fleisch- und Gülleproduktion. Allein um die Stadt Toledo im westlichen Parana produzieren mehr als 2.500 landwirtschaftliche Betriebe Masttiere. Die dort entstehende Gülle und andere Verarbeitungsrückstände sind ein Umweltproblem: Sie werden häufig nicht nachhaltig entsorgt, sondern landen in den Lagunen. Die Dimensionen sind riesig: 7,2 Millionen Kubikmeter Schweinegülle,
353.000 Tonnen Geflügelmist und 35.000 Tonnen Maniokabfälle fallen allein in der Region um die Stadt Toledo an. Dort sickert 2015 umweltschädliche Gülle mit hohem Stickstoffgehalt in die Böden und Flüsse. Giftige und klimaschädliche Treibhausgase Lachgas und Methan gelangen durch natürliche Fermentation auf Grund der Sonneneinstrahlung in die Atmosphäre.
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