Hilfe, die Märkte macht. Wenn Entwicklungspolitik Wirtschaft bewegt

Entwicklungspolitik ist reine Armutsbekämpfung? Nein, sagt Prof. Dr. Stephan Klingebiel, Leiter des Forschungsprogramms „Inter- und transnationale Zusammenarbeit“ am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) in Bonn. Im Interview erklärt er, wie gezielte Entwicklungszusammenarbeit Märkte öffnet und Investitionen möglich macht.
Redaktion: Herr Klingebiel, inwiefern profitiert Deutschland von der Entwicklungszusammenarbeit?
Prof. Dr. Stephan Klingebiel: Entwicklungszusammenarbeit erhöht nachweislich die Nachfrage nach deutschen Produkten und Dienstleistungen. Jeder Euro, der in die Entwicklungszusammenarbeit fließt, bringt 36 Cent zurück in die deutsche Wirtschaft. Rund 139.000 Arbeitsplätze hängen damit zusammen. Das sind Ergebnisse einer 2024 veröffentlichtenStudie der Universität Göttingen. Die Studie analysiert im Auftrag der KfW Entwicklungsbank, wie deutsche Entwicklungsgelder die deutschen Exporte in die jeweiligen Empfängerländer beeinflussen. Das Ergebnis zeigt, wie sehr Deutschland wirtschaftlich von seinem entwicklungspolitischen Engagement profitiert.
Redaktion: Woran liegt das?
Prof. Dr. Stephan Klingebiel: Entwicklungspolitik ist alles andere als reine Finanzhilfe, weil man es gut meint. Sie ist ein Instrument, um eigene politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Entwicklungspolitik kann den Zugang zu zentralen Rohstoffen verbessern, Einfluss auf Migration nehmen und den Globalen Süden dabei unterstützen, CO₂-Emissionen zu senken – das alles nutzt auch uns direkt. Nicht zuletzt hilft sie den Unternehmen, die sich als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren, dabei, neue Absatzmärkte zu erschließen. Vor allem in sehr armen Staaten schafft Entwicklungszusammenarbeit häufig erst die Voraussetzung, um dort unternehmerisch tätig zu werden.
Partnerschaften mit Wirkung: Wie Entwicklungszusammenarbeit Innovation und Investitionen fördert
Redaktion: Wie schafft Entwicklungszusammenarbeit das konkret?
Klingebiel: Obwohl Partnerländer nicht verpflichtet sind, Waren und Dienstleistungen aus dem Geberland zu kaufen, entstehen in der Praxis enge Partnerschaften. Das zeigt sich etwa, wenn Delegationen aus den Partnerländern nach Deutschland reisen, sich Technologien vor Ort anschauen und später gezielt in diese Lösungen investieren.
Redaktion: Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Klingebiel: Ein Beispiel für eine solche für beide Seiten fruchtbare Partnerschaft ist die Entwicklungszusammenarbeit mit Indien. Obwohl große Teile des Landes nach wie vor mit Armut zu kämpfen haben, ist Indien in Bereichen wie der IT und dem Energiesektor sehr fortschrittlich. Entwicklungsprojekte haben dort nicht nur wichtige Strukturen aufgebaut, sondern auch private Investitionen angestoßen, von denen deutsche Unternehmen bis heute profitieren. Ähnliches gilt für Länder wie Südkorea – oder Spanien.
Redaktion: Wie meinen Sie das? Beide Länder sind weit davon entfernt, Entwicklungsländer zu sein.
Klingebiel: Eben. Spanien ist 1983 als erstes Land von der OECD-Liste der Entwicklungsländer gestrichen worden, es ist also graduiert. Ein besonders prägnantes Erfolgsbeispiel ist Südkorea: Heute kennen wir es als hochentwickelten Technologiestandort. Südkorea ist heute zudem selbst ein Geberland innerhalb der OECD; dabei ist es erst 2010 aus der OECD-Liste gestrichen worden. Wenn ein solches Land graduiert, fließen zwar keine Entwicklungsgelder mehr, aber genau das bringt dann einen Reputationsgewinn. So kommt das Land an den Finanzmärkten an günstigere Kredite. Wer schon vorher im Markt war, weil er bereits in der Entwicklungsphase investiert hat, der profitiert, wenn ein Land wirtschaftlich entwickelt ist, von gewachsenen Partnerschaften.
Entwicklung als Chance: Wie wirtschaftliche Kooperationen frühzeitig Potenziale erschließen

Redaktion: Wann lohnt sich die Investition in Partnerländer denn besonders: bevor oder nachdem ein Land wirtschaftlich entwickelt ist?
Klingebiel: Lohnende Investitionschancen entstehen in jeder Phase der wirtschaftlichen Entwicklung. Indien beispielsweise gilt offiziell noch als Entwicklungsland, aber öffentliche Hilfen machen inzwischen weniger als ein Prozent des BIP aus. Der größte Teil der Finanzierung erfolgt also durch den Privatsektor. Internationale Investoren finden hier enormes Potenzial.
Aber auch in Ländern, die in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung noch ganz am Anfang stehen, eröffnen sich Chancen. In Ruanda zum Beispiel betreibt Volkswagen ein Werk zur Fahrzeugmontage. Aktuell steht die Frage im Raum, ob die Entwicklungszusammenarbeit gezielt Ausbildungsinitiativen unterstützen kann – ein echter Mehrwert der Partnerschaft, und zwar für beide Seiten.
Aussichtsreiche Kandidaten für den Aufstieg
Alle drei Jahre prüft der Entwicklungsausschuss (DAC) der OECD, welche Länder noch Anspruch auf Entwicklungshilfe haben. Bis heute sind 48 Länder graduiert – haben also den Status eines Entwicklungslandes erfolgreich hinter sich gelassen.
Einige der Länder, die 2026 graduieren könnten oder deren Aufstieg bereits beschlossen ist:

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