ITB 2023: Tourismus wird sozialer und ökologischer
Nach drei Jahren coronabedingter Zwangspause traf sich die Tourismusbranche unter dem Motto „Open for Change“ wieder persönlich auf der weltgrößten Tourismusmesse, der Internationalen Tourismusbörse ITB in Berlin. Unter dem Motto "Mastering Transformation" brachte der ITB-Kongress vom 7. bis 9. März 2023 Akteur:innen der internationalen Tourismusbranche zusammen. Auch die Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE) nahm am Kongress teil und veranstaltete gemeinsam mit den Business Scouts for Development und dem Branchendialog „Tourismus für nachhaltige Entwicklung“ ein Networking-Event für die ganze Reisebranche. Im Mittelpunkt zweier Diskussionsrunden stand dabei die Frage: Wie kann eine sozial-ökologische Transformation im Tourismus gelingen?
Klimawandel, Krieg, Pandemie: Tourismus steht vor Herausforderungen
Trotz wieder steigender Buchungszahlen: Auch 2023 stehen Tourismus und Reiseindustrie durch Klima, Krieg und Pandemie vor weitreichenden Herausforderungen. Allen voran der Klimawandel bedroht ganze Reiseregionen. Ob mangelnder Schnee in Wintersportregionen, schlechte Gewässerqualität in Badeorten oder durch Waldbrände zerstörte Wanderrouten: Viele Geschäftsmodelle sind abhängig von gesunden Ökosystemen, ausgewogenen Klimaverhältnissen und reicher Biodiversität vor Ort. Der Tourismus ist dabei sowohl starker Treiber als auch Opfer der Klimakrise. Acht Prozent der weltweiten Emissionen sind auf den Tourismus zurückzuführen, ein Großteil entfällt auf den Flugverkehr.
Dass Themen wie der Schutz des Klimas und natürlicher Ressourcen sowie die Schaffung von guter Arbeit und die Wahrung von Menschenrechten ein integraler Bestandteil der Tourismuswirtschaft sein müssen, bekräftigte Dirk Meyer, Leiter der Abteilung für Globale Gesundheit, Wirtschaft, Handel und ländliche Entwicklung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), in seiner Keynote-Rede: Um den Tourismus nachhaltiger zu gestalten, müssten Maßnahmen ergriffen werden, die den Einsatz von Ressourcen reduzieren und Abfälle vermeiden. Darüber hinaus müssten Tourismus und Politik sich für die Einführung von Kreislaufwirtschaftssystemen stark machen sowie gemeinsam den CO2-neutralen Umbau der Branche vorantreiben. „Wir stehen an einem kritischen Punkt, und es ist zwingend notwendig, dass wir zur Mitte des Jahrhunderts kohlenstoffneutrale Lebens- und Wirtschaftsweisen erreichen. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass bei diesem dringenden, radikalen Wandel niemand zurückbleibt und wir für alle neue Chancen erarbeiten.“
Der Tourismus bietet Potenzial für Wandel
Im Rahmen der Veranstaltung wurde immer wieder deutlich: Deutsche Reise- und Tourismusunternehmen leisten einen bedeutenden Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung von Entwicklungsländern und zur Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbindung zwischen Ländern. Denn grundsätzlich gilt: Der Tourismus kann zu einer sozial-ökologischen Transformation beitragen. So ist der Sektor besonders beschäftigungsintensiv mit niedrigen Eintrittsbarrieren für Menschen unterschiedlicher Qualifikationsstufen. Aufgrund dessen befinden sich Tourismusunternehmen in einer besonders vielversprechenden Position, um den nötigen Wandel hin zu verbesserten Arbeitsbedingungen und einem formalisierten Arbeitsmarkt mit guten Aufstiegs- und Weiterbildungschancen voranzutreiben.
Allerdings sind die Arbeitsbedingungen teilweise prekär und viele Beschäftigte sind informell oder lediglich saisonal angestellt und profitieren dadurch nicht von sozialen Sicherungssystemen. Insbesondere die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig eine resilientere Ausrichtung der Tourismusbranche ist. Durch die Formalisierung von Arbeitsverhältnissen und die Stärkung von sozialen Sicherungssystemen werden nicht nur existenzielle Lebensgrundlagen vor Ort gesichert, sondern auch Tourismusfachkräfte gehalten und tourismusspezifische Expertise bewahrt. Es hat sich außerdem gezeigt, dass die soziale Absicherung es Menschen erleichtert, klimafreundliche Technologien oder Verhaltensweisen zu übernehmen. Außerdem mildert sie die Risiken durch Übernutzung natürlicher Ressourcen und der Auswirkungen des Klimawandels.
Frauen im Tourismus nach wie vor benachteiligt
Die Corona-Pandemie machte auch deutlich, dass Frauen im Tourismussektor immer noch besonders vulnerabel sind, da sie oftmals in informellen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Das unterstrich auch Ben Owen, der Project Manager des UNWTO Projekts ‘Centre Stage: Women’s empowerment during the COVID-19 recovery’. Dadurch gehörten sie zu den ersten, die ihre Jobs in der Pandemie verloren. „Frauen waren die ersten, die mit Personalabbau oder reduzierten Arbeitszeiten konfrontiert wurden, was zu Gehaltseinbußen führte, während sie gleichzeitig mehr Betreuungsarbeit zu Hause leisten oder die Kosten dafür tragen mussten."
Hilfreich für strukturelle Veränderungen sind gesamtgesellschaftlich Ansätze, die Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, der Wirtschaft und Politik einbeziehen. Ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit ist das Center Stage Projekt: Mit finanzieller Unterstützung des BMZ haben die Welttourismusorganisation UNWTO, UN Women und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ) das Projekt ins Leben gerufen: Es unterstützt Unternehmen sowie nationale Tourismusbehörden bei der Umsetzung eines einjährigen Aktionsplans zur Stärkung der Rolle der Frau im Tourismus in Jordanien, Costa Rica, der Dominikanischen Republik und Mexiko. Das Ziel: Die Gleichstellung der Geschlechter in staatlichen Institutionen und Unternehmen des Tourismus soll während der Erholung von der Pandemie nachhaltig gestärkt werden. Die Aktivitäten umfassen gezielte Schulungsprogramme, Maßnahmen zur Förderung des beruflichen Aufstiegs von Frauen, Verbesserungen des Rechtsrahmens und die Erhebung von nach Geschlechtern aufgeschlüsselten Beschäftigungsdaten. Im Rahmen des Projektes verpflichten sich teilnehmende Unternehmen wie lokale Hotels und Reiseveranstalter:innen zur Einführung von Richtlinien zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, Zielvorgaben für weiblich besetzte Führungspositionen, Mutterschaftsurlauben und zur Umsetzung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“.
Konkrete Maßnahmen für strukturelle Herausforderungen
Ein Konsens unter den Teilnehmer:innen des ITB-Kongresses: Um die Herausforderungen für Tourismusunternehmen angehen und erfolgreich meistern zu können, bedarf es unterschiedlicher Lösungsansätze und Maßnahmen, die die Zukunftsfähigkeit und ein nachhaltiges Wachstum des Tourismussektors ermöglichen. In Anbetracht des Klimawandels, sind unternehmerische Bemühungen zur Reduktion von CO2-Emissionen und zur Steigerung der Energieeffizienz des Tourismussektors dabei zentral. Für den Transport bedeutet das: Benötigt werden moderne Flotten mit geringeren Emissionen – zum Beispiel durch den Einsatz synthetischer Kraftstoffe. Außerdem muss gerade im Flugbetrieb die Treibstoffeffizienz steigen, etwa durch Gewichtsreduktion und Routenoptimierung. Generell gilt es, den klimafreundlicheren Landtransport - wo immer möglich - auszubauen und zu nutzen.
Auch in Beherbergungssegment gibt es vielversprechende Ansatzpunkte, den nötigen Wandel voranzutreiben. Der „Pathway to Net-Positive Hospitality” der Sustainable Hospitality Alliance ist ein solches Projekt. Das Ziel dieser Initiative ist es, Hotels weltweit zu befähigen, eine positive Umweltbilanz zu erreichen. Dafür bietet die Initiative einen praxisnahen Leitfaden als freie Orientierungshilfe an. Dieser unterstützt das Gastgewerbe dabei, auf strategische Weise Fortschritte im Bereich Nachhaltigkeit zu erzielen und enthält Handlungsanweisungen für Hotelbetreiber:innen, um individuelle und auf ihre Situation und ihren Standort abgestimmte Aktionspläne zu erstellen. „Zwei Dinge müssen geschehen. Erstens: Die Branche muss auf strategischer Ebene zusammenkommen, um die Herausforderungen zu benennen und angemessene Ressourcen für deren Bewältigung bereitzustellen. Zweitens: Auf lokaler Ebene, das heißt in den Reisedestinationen, müssen die Vielfalt und die unterschiedlichen Kontexte bei der Suche nach Lösungen in den Vordergrund gerückt werden“, unterstrich Anjana Raza von Sustainable Hospitality Alliance.
Ein weiterer wichtiger Bereich mit großem touristischem Potenzial ist der Ausbau und die Förderung der ökosystembasierten Anpassung an den Klimawandel. Das Ziel hierbei ist es, die Tourismusindustrie insgesamt klimaresistenter und somit widerstandsfähiger für die Zukunft aufzustellen. Investitionen in den Erhalt und Wiederaufbau von wichtigen Ökosystemen wie zum Beispiel Korallenriffe und Mangrovenwälder schützen nicht nur Küstenregionen, sondern werten diese auch landschaftlich auf und bedienen die steigende Nachfrage nach Naturerlebnissen im Tourismussektor. Neben ihrer touristischen Attraktivität dienen Korallenriffe und Mangrovenwälder natürlich auch dem Schutz ganzer Küstenregionen. Mehr Investitionen in naturnahe Lösungen können also auch zum Erhalt dieser führen und sie gleichzeitig auf das erwartete steigende touristische Interesse vorbereiten.
Nicht zuletzt gehören zu den erforderlichen strukturellen Veränderungen auch Weiterbildungs- und Umschulungsangebote. Denn auf dem Weg zur Klimaneutralität ist es von zentraler Bedeutung, neue Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen und den Menschen zu helfen, sich durch digitale Innovationen und die Ausbildung von Arbeitnehmer:innen an die sich verändernde Umwelt anzupassen. Ein Beispiel hierfür: Die TVET Academy der GIZ. Sie fördert die stetige Weiterentwicklung von Fach-, Handlungs- und Führungskompetenzen für eine arbeitsmarktorientierte Berufliche Bildung in Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern.
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