„Positiver Impact und Unternehmenserfolg sind keine Gegensätze, sondern zwei...

Auf der Hamburg Sustainability Conference (HSC) steht dieses Jahr die Frage im Fokus: Wie sieht ein resilientes und nachhaltiges Finanz- und Wirtschaftssystem in einer multipolaren Welt aus? Im Interview spricht Juliana Rotich, Mitglied des HSC-Councils und FinTech-Unternehmerin aus Kenia, über den Wert internationaler Kooperation in Zeiten geopolitischer Unsicherheiten – und darüber, wie unternehmerisches Denken und die Nachhaltigkeitsziele der UN zusammenwirken.
Redaktion: Frau Rotich, als Vice Chair des HSC Councils haben Sie eine führende Rolle bei der Organisation der Hamburg Sustainability Conference (HSC), die in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindet. Warum sollten deutsche Unternehmen Veranstaltungen wie die HSC in ihrem Kalender haben?
Juliana Rotich: Gerade jetzt brauchen Unternehmen neue, internationale Wachstumsperspektiven und globale Netzwerke. Auf Foren wie der HSC können sie andere Unternehmerinnen und Unternehmer aus den verschiedensten Weltgegenden und Branchen kennenlernen – tatkräftige Persönlichkeiten, die wirklich etwas bewegen in ihren Ländern. Afrika zum Beispiel ist wirtschaftlich auf dem Weg nach oben. Daher sollten deutsche Investoren und Unternehmen den Kontinent unbedingt mitdenken, wenn es um Wachstumsmärkte geht. Veranstaltungen wie die HSC bieten neue internationale Perspektiven, Kontakte und Investitionsmöglichkeiten – und das alles direkt vor der Haustür im schönen Hamburg.
Orientierung am gesellschaftlichen Impact stärkt das Unternehmen
Redaktion: Viele Vertreter*innen der Wirtschaft haben diese Chance erkannt und sind auf der diesjährigen HSC präsent. Welche Themen treiben die Unternehmerinnen und Unternehmer mit Blick auf die internationale Zusammenarbeit und die Nachhaltigkeitsziele um?
Juliana Rotich: Ich erlebe in Gesprächen mit Unternehmerinnen und Unternehmern aus aller Welt: Die meisten haben verstanden, dass sich Profitabilität und Nachhaltigkeit im Sinne der SDGs, also der internationalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, nicht ausschließen. Im Gegenteil: Wer sich am langfristigen gesellschaftlichen Impact orientiert, stärkt damit auch das eigene Unternehmen. Das gilt nicht zuletzt auch im internationalen Geschäft. Veranstaltungen wie die HSC sind eine Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen zu Unternehmen, die das genauso sehen – und um voneinander zu lernen, wie nachhaltige Geschäftsmodelle in anderen Ländern und auf neuen Wachstumsmärkten funktionieren.
Redaktion: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Juliana Rotich: Ein Beispiel aus meinem Heimatland Kenia ist M-Pesa: ein Bezahldienst, für den man nur ein Mobiltelefon braucht. Der Mobilfunkdienstleister Safaricom, für den ich gearbeitet habe, hat diesen Dienst eingeführt. Er macht es möglich, Geld auf einem Mobiltelefon zu speichern, zu senden und zu empfangen, ohne dass man ein Bankkonto benötigt. So können Menschen am finanziellen Alltagsleben teilhaben, auch wenn sie keine Ersparnisse und kein Konto bei der Bank haben: neue Schuhe fürs Vorstellungsgespräch kaufen, Lernmaterial für das Schulkind. Gleichzeitig erschließt Safaricom neue Märkte und erreicht neue Kundinnen und Kunden. Positiver gesellschaftlicher Impact und wirtschaftlicher Erfolg gehen also auch hier Hand in Hand.
Aktulles Fokusthema: internationale Finanzarchitektur
Redaktion: Die internationale Finanzarchitektur ist eines der Hauptthemen der diesjährigen HSC. Warum ist gerade dieses Thema jetzt so wichtig?
Juliana Rotich: Das internationale Finanzsystem ermöglicht Investitionen in die nachhaltige Transformation – und stützt damit die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität und Entwicklung weltweit. Die aktuellen geopolitischen Unsicherheiten sorgen dafür, dass Menschen und Unternehmen überall auf der Welt sich bei Investitionen eher zurückhalten. Dabei sind gerade jetzt entschlossene Investitionen in Innovationen, in eine nachhaltige Infrastruktur und Industrie notwendig. Der Zugang zu Kapital, zu sicheren und günstigen Finanzdienstleistungen ist daher sehr wichtig. Deshalb sind gesellschaftliche finanzielle Teilhabe, Stabilität und Empowerment Themen, für die ich mich persönlich besonders engagiere. Das ist nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern die Grundlage für nachhaltigen wirtschaftlichen Fortschritt. Investitionen in die digitale öffentliche Infrastruktur sind ebenfalls entscheidend, ebenso wie eine konstruktive und anpassungsfähige Regulierung.
Reaktion: Wie erleben Sie die Stimmung im Vorfeld der Konferenz?
Juliana Rotich: Die Stimmung lässt sich am besten mit „Jetzt erst recht“ beschreiben. Frühere internationale Kooperationspartner wie zum Beispiel die USA streichen massiv finanzielle Hilfen. Manche fragen sich, ob in so einer Realität überhaupt noch Raum für Kooperation ist. Ich sage: ja. Der Klimawandel zum Beispiel betrifft alle. Manche Nationen mögen sich für Realitätsverweigerung und gegen eine konstruktive internationale Zusammenarbeit entschieden haben. Aber es liegt nun an den Realisten, sich trotzdem gemeinsam den Herausforderungen zu stellen. Wir können und werden nicht aufhören zu kooperieren und die Chancen der internationalen Zusammenarbeit zu nutzen, nur weil einige nicht mehr mitmachen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen jetzt mehr als je zuvor auf Nachhaltigkeit und SDGs setzen.
Redaktion: Was macht Sie so zuversichtlich, dass sich diese Stimmung des „Jetzt erst recht!“ mit Blick auf nachhaltiges Wirtschaften durchsetzt?
Juliana Rotich: Die Vorteile der internationalen Zusammenarbeit und des nachhaltigen Wirtschaftens liegen auf der Hand. Und gemeinsame Ziele wie die SDGs bieten den Rahmen, um Länder, Organisationen und Unternehmen auf gemeinsame Ziele und Werte auszurichten. Wenn wir uns jetzt von den internationalen Nachhaltigkeitszielen abwenden, wohin wenden wir uns stattdessen? Ich wüsste nichts Konstruktiveres als die SDGs für jede Einrichtung, die in den kommenden Jahrzehnten Widerstandsfähigkeit und Relevanz aufbauen will.
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