„Unternehmen müssen das Rad nicht neu erfinden“
Keine Beratung ohne Beraterinnen und Berater: Die Agentur für Wirtschaft und Entwicklung versteht sich als zentraler Ansprechpartner für Investitionen und nachhaltige Projekte in Schwellen- und Entwicklungsländern. Doch wer sind die Köpfe dahinter? Zum Tag der Menschenrechte haben wir mit der Leiterin des NAP Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte, Katharina Hermann, gesprochen.
Frau Hermann, angenommen, Sie werden auf einer Veranstaltung gefragt, was Sie beruflich machen. Wie erklären Sie das?
Hermann: Ich frage die Leute gerne zurück, ob sie sich manchmal Gedanken darüber machen, wo die Produkte, die sie benutzen, herkommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden. Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) erzielt eine Verbesserung der menschenrechtlichen Bedingungen, unter denen unsere Produkte hergestellt werden. Er setzt dabei Standards für Unternehmen. Mit dem NAP Helpdesk beraten wir Unternehmen bei der Umsetzung genau dieser Standards.
Was begeistert Sie an dieser Tätigkeit?
Hermann: Immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt zu werden! Im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte passiert so viel. Es gibt ständig neue Initiativen und Tools, Forschungsergebnisse und Kooperationsmöglichkeiten. Natürlich ist auch der Kontext jedes Unternehmens, das auf uns zukommt, immer anders. In einem so abwechslungsreichen und innovativen Umfeld zu arbeiten, begeistert mich sehr.
Wie würden Sie die Funktion des NAP Helpdesks beschreiben?
Hermann: Wir beraten Unternehmen zu Fragen rund um Nachhaltigkeit und menschenrechtliche Sorgfalt. Zugleich fördern wir den Austausch, stellen Informationen zur Verfügung und bieten ein Netzwerk von Unterstützungsmöglichkeiten. Als Bild benutze ich häufig das einer Straßenkarte: Der NAP Helpdesk zeigt Unternehmen Ziele bei der Umsetzung unternehmerischer Sorgfalt und weist auf unterschiedliche Wege, um dorthin zu gelangen. Der NAP Helpdesk in seiner Form als kostenloses Unterstützungsangebot der Regierung für Unternehmen zu diesem Thema ist übrigens weltweit einzigartig.
Wen beraten Sie?
Hermann: Unsere Klientel sind deutsche und europäische Unternehmen, die sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen bzw. ihre eigenen Aktivitäten oder die ihrer Zulieferer umwelt- und sozialverträglich gestalten möchten. Einige Unternehmen sind bereits sehr engagiert und haben spezifische Fragen, andere suchen einen Einstieg in die Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfalt. Da gerade für kleine und mittelständische Unternehmen die Ressourcen für die Umsetzung von Nachhaltigkeit im Unternehmen und der Lieferkette oft knapper sind, können wir hier einen besonderen Mehrwert bieten. Diese KMU möchten wir im nächsten Jahr gern verstärkt erreichen.
Können Sie einen „typischen“ Fall schildern: Wie und wobei haben Sie zuletzt ein Unternehmen beraten?
Hermann: In letzter Zeit besuchen wir zunehmend Unternehmen persönlich. Kürzlich saßen wir bei einem Unternehmen mit unterschiedlichen Abteilungen, wie zum Beispiel Compliance, Einkauf und Nachhaltigkeit, zusammen. In einem zweiten Schritt werden weitere Abteilungen in unsere Beratung einbezogen. Dabei unterstützen wir das Unternehmen dabei, herauszufiltern, welche Abteilung welche Verantwortlichkeiten übernehmen kann, wo bereits Prozesse vorhanden sind, die bei der Nachhaltigkeitsstrategie von Relevanz sind, und wo noch Lücken bestehen. Dies sind oft wichtige erste Schritte, um zu erarbeiten, wie die Anforderungen des NAP im Unternehmen verankert werden können.
Welche Frage stellen Ihnen Unternehmen eigentlich am häufigsten? Und wie lautet Ihre Antwort?
Hermann: Sehr oft werden wir gefragt: “Welche Relevanz hat der NAP für mich als Unternehmen?” Ich betone dann oft, dass es hier kein allgemeingültiges Modell gibt, sondern dass Lösungen und Antworten von Faktoren abhängen wie zum Beispiel der jeweiligen Branche, Position in der Lieferkette, Unternehmensgröße, bereits bestehenden Prozessen etc. So vielfältig wie diese Umstände sind, so vielfältig sind auch die Bedeutungen des NAP und die Wege zur Umsetzung. Hier kommt es eben auf die individuelle Beratung an, die wir natürlich vertraulich anbieten.
Für welche Zielmärkte interessieren sich Ihre Kundinnen und Kunden am meisten? Welche Produkte oder Bereiche stehen im Fokus?
Hermann: Unsere Zielmärkte sind sehr breit gefächert und die Expertise unserer Mitarbeiter erstreckt sich über verschiedene Branchen. Betonen möchte ich hier vor allen Dingen unsere Kooperation mit der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE), die uns gerade im Bereich der Ernährungs- und Agrarwirtschaft ein breites Netzwerk öffnet. Ein Fokus unserer Arbeit liegt dabei oft auf Tätigkeiten in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Was ist Ihr wichtigster Tipp für Unternehmen?
Hermann: Ich sage den Unternehmen oft, dass sie das Rad nicht neu erfinden müssen. Oft zahlen bereits bestehende Prozesse auf den NAP ein und sollten ggf. entsprechend angepasst werden. Wir weisen auch gerne auf den Prozessaspekt hin: Die Umsetzung des NAP ist ein kontinuierlicher Prozess und nie komplett abgeschlossen. Dabei geht es auch nicht von heute auf morgen. Gerade in schwierigen Märkten macht ein schrittweiser Fortschritt schon einen großen Unterschied.
Haben Sie auch Lesetipps? Welchen Organisationen sollten Unternehmen in den sozialen Medien folgen? Welche Studien empfehlen Sie?
Hermann: Sehr spannend finde ich immer wieder, was Unternehmen tun, um den NAP umzusetzen, und wie sie sich dem Thema Nachhaltigkeit stellen. Auch viele Verbände haben sehr interessante Nachhaltigkeitsinitiativen für ihre Mitglieder, dort findet man viele Tools und hilfreiche Leitfäden. Das UN Global Compact Netzwerk Deutschland (UN GCD) bietet eine tolle Plattform für Vernetzung und Wissensaustausch im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Ich lese auch immer gerne die Veröffentlichungen des Business and Human Rights Ressource Centre, die oft einen guten Überblick darüber geben, was sich weltweit im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte tut.
Und welches ist Ihr Highlight im Jahreskalender?
Hermann: Highlights für mich sind immer wieder unsere Beratungen. Dieses Jahr konnten wir besonders im Rahmen des Monitorings viele Unternehmen beraten und das macht schon großen Spaß. Ich freue mich auch immer auf unsere Veranstaltungen, zum Beispiel das NAP Helpdesk Frühstück. Der Austausch zwischen Wirtschaft und Politik ist in diesem Bereich sehr wichtig. Gerade das letzte Frühstück zum Thema „rechtliche Entwicklungen im Bereich menschenrechtliche Sorgfalt“ konnte weiterführende Diskussionen inspirieren.
Sind Sie viel unterwegs?
Hermann: Vor allen Dingen im Rahmen von Beratungen und Vorträgen bin ich oft in ganz Deutschland unterwegs. Meine letzte Dienstreise ging allerdings nach Genf. Da war ich im November 2019 zusammen mit der deutschen Delegation der Bundesregierung und Kollegen vom NAP Helpdesk auf dem UN-Forum für Wirtschaft und Menschenrechte, dem größten Forum zum Thema, das viel Raum für den Wissensaustausch und den Netzwerkausbau zwischen Unternehmen, Verbänden, Regierungen, internationalen und zivilgesellschaftlichen Organisationen bietet.
Haben Sie ein Ziel oder eine Vision vor Augen? Was würden Sie beruflich mit dem NAP Helpdesk in der AWE gern erreichen?
Hermann: Wir wollen im nächsten Jahr das Beratungsangebot weiter ausbauen, um Unternehmen noch besser mit spezifischer Beratung anzusprechen. Gerade im Hinblick auf die anstehende erneute Befragung bei Unternehmen durch die Bundesregierung möchten wir Unternehmen weiterhin bedarfsgerecht unterstützen. Am Ende ist unser Ziel natürlich auch: unseren Beitrag zu leisten für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation entlang der Wertschöpfungs- und Lieferketten von deutschen Unternehmen in Deutschland und weltweit.
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