Wasserstoffpionier Alexander Voigt. Die Energiewende ist seine Mission
„Ein Markt allein schafft keine Innovation. Es braucht dafür immer die richtigen gesetzlichen Bestimmungen“, sagt Alexander Voigt. Der Physiker und Unternehmer muss es wissen: Seit über 30 Jahren gründet er Unternehmen, mit denen er Technologien für die Produktion erneuerbarer Energien entwickelt. Im mecklenburg-vorpommerischen Lubmin plant der 58-Jährige nun den ganz großen Wurf: Den Aufbau eines Wasserstoffkraftwerkes. Alexander Voigt ist Teil des „Team Transformation“, einer Gruppe von fünf Vordenker:innen, die sich gemeinsam mit den Partners in Transformation für eine nachhaltige und faire Wirtschaft einsetzen.
Im hohen Norden an der Ostsee, 25 Kilometer östlich der Stadt Greifswald, liegt Lubmin. Die Stadt ist ein Energie-Urgestein: In der DDR war sie ein Nuklearstandort, später erreichte hier das Gas in der Pipeline „Nord Stream 1“ die deutsche Küste. Nach Beginn des Ukrainekrieges wurden die Pipelines stillgelegt. Geht es nach Alexander Voigt, soll in Lubmin schon bald das erste deutsche Wasserstoffkraftwerk entstehen – und der Wasserstoff über die Pipelines ganz Deutschland versorgen. „Die Baugenehmigung ist eingereicht. Wir hoffen, dass wir dieses Jahr noch mit dem Bauen anfangen können, bevor es draußen kalt wird“, sagt Voigt über das Projekt seines Unternehmens HH2E mit der Schweizer MET Group. Bereits im Jahr 2025 will das Konsortium mit der Wasserstoffproduktion beginnen. Das Engagement in Lubmin folgt einem größeren Plan: Insgesamt zehn alte Kraftwerke vor allem in Ostdeutschland kaufte HH2E in den letzten beiden Jahren für über eine Milliarde Euro. „Um die Geschwindigkeit halten zu können, die die Energiewende braucht, war es sinnvoll für uns zu schauen: Wo gibt es denn vorhandene Infrastrukturen, die wir nutzen können?“, erklärt Voigt. Mit dem Bau von Wasserstoffkraftwerken könnten Voigt und sein Team zu Vorreitern werden und das nicht zum ersten Mal. Wie entwickelt man Innovationen und traut sich, diese auch in die Tat umzusetzen?
Unternehmen gründen für mehr Nachhaltigkeit
1965 geboren, wuchs Alexander Voigt in Frankfurt und Darmstadt auf. In seiner Jugend nahm Voigt erfolgreich an Physikolympiaden teil. Erverbrachte viel Zeit in einem Hüttendorf, das Umweltschützer errichtet hatten, um gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens zu protestieren. Dort lernte der junge Alexander viel über Ressourcenverbrauch und die ökologischen Auswirkungen des Konsumverhaltens. Später im Mathematik- und Physik-Studium erstellte Voigt Klimamodelle: „Ich rechnete aus, was passieren würde, wenn wir weiterhin so viel CO2 in die Atmosphäre abscheiden würden wie bisher. Da wurde mir schlecht.“ Eine Antwort auf dieses Problem fand Voigt, als er für einen Freund seines Vaterseine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach einer Waldhütte installierte. So konnte der Jäger auf einem kleinen Fernseher mitten im Wald Fußball schauen.. „Das war zwar alles sehr teuer, aber ich dachte: Vielleicht könnte das doch irgendwann im größeren Maße funktionieren.“ Noch im Studium gründete Voigt sein erstes Unternehmen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Diesen eingeschlagenen Weg ging Voigt auch nach dem Studium weiter, zahlreiche Firmen sollten folgen. „Wenn es für das Ziel, dass du verfolgst, kein Unternehmen gibt, dann musst du es selbst gründen“, sagt Alexander Voigt. Wer Probleme wirklich lösen wolle, müsse in die Praxis gehen. „Forschung und Entwicklung ist wichtig, aber: Wenn du mit einem Problem zu einem Wissenschaftler gehst, dann kommt er eine Woche später mit zehn Problemen zurück. Das ist sein Job, Grundlagenforschung, das Thema in seiner Tiefe durchdringen. Wenn du mit einem Problem zu einem Ingenieur gehst, ist es nach einer Woche gelöst.“
Angetrieben wurde Alexander Voigt nicht nur davon, die Energiewende mitgestalten zu wollen, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Sondern auch von der Geburt seiner ersten Tochter im Jahr 1992: „Wenn man auf einmal dafür verantwortlich ist, dass ein neues Paar Augen in die Welt guckt, dann ist es natürlich noch mal ein Motivator, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen. Ohne meine Kinder hätte ich diese Arbeitsintensität so nicht hingekriegt.“
Wichtige Grundlagenarbeit für neue Technologien
1998 brachte Alexander Voigt mit SOLON, das schlüsselfertige Solaranlagen lieferte, das erste deutsche Solarunternehmen überhaupt an die Börse. 2005 gründete Voigt die Firma Younicos und begann, Lithium-Ionen-Batterien zur Energiespeicherung zu entwickeln und herzustellen. Dies führte ein Jahrzehnt später zum Bau von Europas erster Batteriespeicheranlage. Younicos produzierte diese für das mecklenburg-vorpommerische Energieversorgungsunternehmen WEMAG AG. Mit der GRIPS Energy AG baute er im Jahr 2012 auch ein Unternehmen auf, das Solaranlagen in Ländern des Globalen Südens produziert. Voigts Vorhaben folgten stets einem bestimmten Muster: Bedarf identifizieren, Unternehmen gründen, Produkt bis hin zur Marktreife entwickeln und dafür sorgen, dass das Unternehmen auf eigenen Füßen stehen kann – und dann das nächste Projekt. Nicht jedes Unternehmen konnte sich halten (SOLON), andere verließ er, bevor der große Durchbruch folgte (Younicos). „Ich hätte möglicherweise mehr Geld verdienen können und habe nicht immer die wirtschaftlichste Entscheidung getroffen.“ Zwischen 2006 und 2008 etwa investierte Voigt ungefähr 40 Millionen Euro an eigenem Geld in die Entwicklung von Energiespeichertechnologie – auch wenn ein Markt dafür noch nicht mal in Ansätzen existierte. „Meine Investitionen erhalte ich jetzt nicht direkt mit Zinsen zurück. Aber die Grundlagenarbeit war wichtig, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Unsere Leuchtturmprojekte haben dabei mitgeholfen, die Entwicklung von Batteriespeichern und damit die Energiewende weltweit nach vorne zu bringen“, sagt Alexander Voigt. In Kalifornien ist der Bau von Energiespeichern etwa ein Milliardenmarkt: Zwischen 2019 und 2024 steigerte der Staat Kalifornien seine Batteriespeicherkapazität von 770 auf über 10.000 Megawatt – mit Technologie, die auch auf den Entwicklungen von Voigt und seinen Ingenieuren basiert.
Grüner Wasserstoff für ganz Deutschland
Seit über 35 Jahren werkelt Alexander Voigt nun schon daran mit, dass die Energiewende gelingen kann. 35 Jahre, geprägt von Grundlagenarbeit, Risiko-Investitionen und Verhandlungen mit der Politik über bessere Rahmenbedingungen für den Aufbau von erneuerbaren Energien. Wie schafft man es, dabei stetig am Ball zu bleiben und neue Lösungen für neue Probleme zu entwickeln? „Dazu braucht es sicher eine gewisse Sturheit, die Hartnäckigkeit, so lange an einem Problem zu arbeiten, bis es endlich gelöst ist, und das richtige Umfeld“, sagt Voigt. Bis heute arbeitet er teilweise mit denselben Ingenieurinnen und Ingenieuren zusammen, die ihn seit Jahrzehnten in den unterschiedlichen Projekten begleiten.
Auch bei HH2E, Voigts Unternehmen zum Aufbau von Wasserstoffkraftwerken, sind sie wieder mit dabei. Die Ziele des Unternehmens sind ambitioniert: An den zehn geplanten Kraftwerkstandorten sollen im Jahr 2030 mit insgesamt zehn Gigawatt elektrischer Anschlussleistung und modernen Elektrolyse-Verfahren über 400.000 Tonnen grünen Wasserstoff produziert werden. Der Wasserstoff soll nicht nur als Energieträger fungieren, sondern auch als Speichermedium. „Beim Essen würde man vom ‚Containern‘ sprechen. Wir schmeißen nichts weg, sondern speichern nicht benötigten Strom für später.“ Insgesamt 14 Terawatt Strom jährlich wollen Voigt und sein Team speichern und als grünen Wasserstoff verkaufen, so viel wie der jährliche Stromverbrauch des Landes Berlin. Dem Standort Lubmin fällt dabei eine Schlüsselrolle zu: Das Stromnetz in Lubmin etwa ist mit zwei Off-Shore-Windkraftanlagen verbunden – gute Voraussetzungen, damit der produzierte Wasserstoff auch wirklich CO2-neutral wird. Außerdem soll über das Pipelinesystem auch der Rest der Republik mit Wasserstoff versorgt werden. Ab 2032 sollen die Wasserstofflieferungen bis nach Stuttgart gehen. Vorhandene Infrastruktur nutzen, Mut zum kalkulierten Risiko und keine halben Sachen: Wenn es nach Alexander Voigt und HH2E geht, könnte so die Energiewende gelingen.
Veröffentlicht am