Wie Unternehmerinnen Tourismus neu denken
Ein Kleinod inmitten der Medina von Tunis, mit ihren mittelalterlichen Gassen, weißen Gebäuden und flachen Dächern. Hier im historischen Zentrum der Stadt hat die Sozialunternehmerin Leila Ben-Gacem ein altes, baufälliges Haus unter widrigen Umständen zu einem Hotel ausgebaut. Sieben Jahre lang hat es gedauert. Unterstützt haben sie Handwerker:innen und Künstler:innen aus der Region, aber auch Schulabbrecher:innen – Menschen aus der Medina aus prekären Verhältnissen.
Seit 2013 strahlt der kleine Stadtpalast Dar Ben Gacem aus dem 17. Jahrhundert mit Rundbögen, Marmorsäulen und einem prächtig gekachelten Innenhof im neuen, alten Glanz. Kurz vor der Corona-Pandemie kam ein weiteres Gästehaus hinzu.
Frauen durch nachhaltigen Tourismus stärken
Ihre Boutique-Hotels betreibt Leila Ben-Gacem als Social Businesses. Ganz bewusst beschäftigt sie Frauen aus der Nachbarschaft, bietet ihnen einen geschützten Raum für mehr Selbstbestimmung: „Es gibt viele ungeschriebene Gesetze in der tunesischen Gesellschaft. Eine unserer Mitarbeiterinnen beispielsweise, eine alleinerziehende Witwe, hatte zu Beginn ihrer Tätigkeit vor acht Jahren Angst, dass ihr Umfeld erfährt, dass sie arbeitet und wo sie arbeitet. Sie nahm sogar Umwege in Kauf. Heute kommt sie auch nachts zur Arbeit und geht mit Stolz nach Hause“, sagt Leila Ben-Gacem. Sie ist überzeugt: „Frauen, die wirtschaftlich und sozial unabhängig sind, treffen die besseren Entscheidungen. Niemand redet ihnen rein.“
Die Geschichte der Medina neu erzählen
Nicht nur das (wirtschaftliche) Empowerment von Frauen liegt der Sozialunternehmerin am Herzen, sondern auch ihr von Krisen und politischen Umwälzungen gebeuteltes Land. Lange Zeit litt das historische Zentrum von Tunis unter Abwanderung, galt als Ort der Armen und Ausgegrenzten. „Mit uns wollte niemand was zu tun haben“, sagt Leila Ben-Gacem augenzwinkernd. Dass sich die Medina, die 1979 zum UNESCO-Welterbe gehört, wieder zu einem Ort für Kunst, Kultur und Handwerk entwickelt hat, ist auch ihr Verdienst. Den Gewinn ihrer Gästehäuser investiert sie unter anderem in den Erhalt der Altstadt und in die Wiederbelebung von traditionellem Gewerbe.
Ihr Projekt Mdinti („meine Stadt“ auf Arabisch), das die GIZ finanziert, setzt sich für eine bessere Beleuchtung und mehr Sauberkeit ein. Mit dem Co-Working-Space Dar El Harka hat Leila Ben-Gacem außerdem einen Ort geschaffen, an dem sich besonders junge Frauen ungestört treffen, lernen und austauschen können.
Mit Tourismus kulturelles Erbe fördern
Ihr Beratungsunternehmen Blue Fish hat sich darüber hinaus zum Ziel gesetzt, das wirtschaftliche Potenzial der geschichts- und kulturgetränkten Medina zu heben. Mit seinem Ansatz zeigt das Social Business, wie sozialverträglicher Tourismus kulturelles Erbe bewahrt, aber auch zugänglich macht: „Wir schaffen zum Beispiel Erlebnisse, damit unsere Gäste gerne zu uns kommen. Sie sollen die Schuster, Seidenweberinnen oder Kalligrafen in ihren Werkstätten begegnen, ihnen über die Schultern schauen, eine echte Erfahrung machen“, erklärt Leila Ben-Gacem.
Sozial verträglich statt All-inclusive
Während die Reisenden fernab der Strandhochburgen in die tunesische Kulturgeschichte eintauchen, profitieren die (Kunst-) Handwerker:innen – darunter viele Frauen – vom neu erwachten Interesse an handgefertigten Teppichen, Keramikprodukten oder Schmuckstücken. Die umliegenden Restaurants und Cafés wiederum bewirten die Kulturtourist:innen und freuen sich über das gute Zusatzgeschäft, ebenso wie Taxifahrer:innen oder Tourguides. Leila Ben-Gacem ist überzeugt: „Tourismus sollte sozial verträglich sein, indem er immer auch gute wirtschaftliche Chancen für die Menschen vor Ort schafft.“
Beraten lassen und Frauen fördern
Auch als deutsches oder europäisches Reiseunternehmen können Sie mit Ihrem Engagement dazu beitragen, Tourismus im Globalen Süden nachhaltiger, aber auch geschlechtergerechter zu gestalten. Die Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE) berät Sie gerne.
In einigen Ländern können Sie vom Erfolg des Centre Stage-Programms profitieren, das UN Tourism, UN Women und die GIZ gemeinsam umgesetzt haben. Gender-orientierte Schulungen und Kampagnen haben die Branche für mehr Geschlechtergerechtigkeit sensibilisiert und zur gezielten Stärkung der Rolle der Frau beigetragen. Das BMZ hat das Projekt finanziert.
Daneben steht Ihnen ein breites Angebot an weiteren Finanzierungs- und Fördermitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung, darunter das BMZ-Förderprogramm develoPPP. Der Branchendialog „Tourismus für nachhaltige Entwicklung“ bringt zudem bringt Vertreter:innen aus Politik, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammen, um Potenziale des Tourismus für eine Stabilisierung und nachhaltige Entwicklung in Schwellen- und Entwicklungsländern umzusetzen.
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