Wiederaufbau: „Investitionsbedarf in der Ukraine besteht jetzt“
Wie baut man ein Land auf, in dem Krieg herrscht? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Europäische Investitionsbank (EIB) normalerweise nicht. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich das geändert. Heike Freimuth, Leiterin der EIB Deutschland spricht im Interview unter anderem darüber, wie sich deutsche Unternehmen beim ukrainischen Wiederaufbau einbringen können und warum sich das Engagement langfristig lohnen dürfte.
Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE): Frau Freimuth, wie plant die Europäische Investitionsbank in der Ukraine zu investieren und wo können deutsche Unternehmen unterstützen?
Heike Freimuth: Die europäische Diskussion zur Unterstützung der Ukraine fokussiert sich sehr stark auf die militärische Komponente. Diese ist zwar sehr wichtig, aber sie steht nicht allein. Wir dürfen die wirtschaftliche Perspektive nicht vergessen.
Die Ukraine braucht jetzt Investitionen, nicht erst wenn der Krieg beendet ist. Große Teile des Landes sind befriedet. In der Westukraine herrscht kein Krieg, stattdessen müssen dort viele Binnenflüchtlinge mit Wohnungen, Schulen, Krankenhäusern oder öffentlichen Verkehrsangeboten versorgt werden. Ein Ausbleiben von Investitionen destabilisiert das Land weiter. Auch Kiew braucht Investitionen, zum Beispiel in die U-Bahn und in die Stromnetze.
Seit Ausbruch des Krieges hat die EIB mit Unterstützung der EU-Kommission 2,3 Milliarden Euro bereitgestellt. 2022 wurden insgesamt 1,7 Milliarden Euro ausbezahlt, davon eine Milliarde für Projekte im öffentlichen Sektor.
Die restlichen gut 500 Millionen Euro haben wir in der ersten Jahreshälfte 2023 in weitere Infrastrukturprojekte gesteckt. Zum Beispiel haben wir gerade ein Krankenhaus in Odessa eröffnet.
Die derzeitigen Garantien aus öffentlichen Haushalten der EU oder ihrer Mitgliedstaaten sind damit jedoch zunächst ausgeschöpft. Diese Garantien brauchen wir als Bank, um das finanzielle Risiko von Investitionen in einem Kriegsgebiet tragen zu können. Um unser Engagement fortsetzen zu können, haben wir einen neuen „EU for Ukraine“-Treuhandfonds aufgelegt, in den die EU-Mitgliedstaaten und andere Geldgeber einzahlen können. Der Fonds umfasst aktuell rund 400 Millionen Euro und weitere EU-Staaten haben bereits ihre Unterstützung angekündigt.
Dieser Fonds soll den Zeitraum überbrücken, bis neue EU-Budgetmittel zur Verfügung stehen. Dies wird möglicherweise erst nach der Europawahl 2024 wieder der Fall sein.
AWE: Engagieren sich deutsche Unternehmen bereits vor Ort beim Wiederaufbau?
Freimuth: Es gibt bereits einige private deutsche Unternehmen, die in der Ukraine aktiv sind. Aktuell sind viele Privatunternehmen eher zurückhaltend, sich an Investitionen in der Ukraine zu beteiligen. Dabei eröffnen sich Chancen. Denn Unternehmen, die in diesen schwierigen Zeiten Geschäftsbeziehungen zum Beispiel in der Westukraine aufbauen, dürften auch später, wenn wieder Frieden herrscht, gefragte Partner bleiben.
AWE: Wie können Unternehmen mit der EIB in Kontakt treten, wenn sie im Land investieren wollen?
Freimuth: Interessierte Unternehmen können sich an das EIB-Büro in Berlin wenden. Wir vermitteln den Kontakt an unsere Expert:innen des Kiewer Büros, die zurzeit von Luxemburg aus arbeiten.
AWE: Was muss sich Ihrer Meinung nach verbessern, damit deutsche Investitionen wirksam sein können?
Freimuth: Hauptsächlich muss die Korruption bekämpft werden. Sie stellt die EIB und andere internationale Organisationen seit vielen Jahren vor große Herausforderungen. In den vergangenen fünf Jahren wurde unverhältnismäßig häufig der Verdacht auf Korruption und Betrug im Zusammenhang mit Projekten in der Ukraine gemeldet. Wir sehen allerdings, dass sich die Regierung unter Führung von Präsident Wolodymyr Selenskyi ernsthaft bemüht, gegen Korruption vorzugehen. Wir als EIB zahlen Projektmittel immer nur schrittweise aus, dem jeweiligen Bauabschnitt folgend.
AWE: Worauf sollten sich Unternehmen in den kommenden Monaten und Jahren einstellen, wenn es um den Wiederaufbau in der Ukraine geht?
Freimuth: Investitionen in der Ukraine werden zunächst risikoreich bleiben, allerdings sollten wir die Ukraine nicht als Entwicklungsland sehen. Bei der Digitalisierung ist uns das Land teilweise weit voraus, und die Bevölkerung ist hervorragend ausgebildet. Unternehmer:innen, die sich dort engagieren, können gute Geschäftschancen entdecken und vor Ort zuverlässige Partner finden. Das wird allerdings angesichts der Situation nicht aus dem deutschen Homeoffice heraus funktionieren. Diese Chancen werden Unternehmer nur nutzen können, wenn sie sich vor Ort engagieren und einen langen Atem beweisen.
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