Ostafrika: Eintrittstor zu wachsenden Märkten
Die neue EU-Afrika-Strategie, die voraussichtlich 2021 auf dem 6. AU-EU-Gipfeltreffen beschlossen wird, will die partnerschaftliche Zusammenarbeit in ausgewählten Schlüsselbereichen stärken. Um Chancen für die angestrebte deutliche Aufstockung ökologisch, sozial und finanziell nachhaltiger und klimaresilienter Investitionen aufzuzeigen, präsentiert die AWE in einer Blog-Reihe Einschätzungen afrikanischer Wirtschaftsvertreter zu Investitionspotenzialen in ausgewählten Branchen. Zweiter Gesprächspartner ist Dr. Peter Mathuki, Generaldirektor des EABC. Das Gespräch führte Dr. Alawi Swabury.
AfCFTA eröffnet in Ostafrika Chancen für diverse Branchen
Mit der African Continental Free Trade Area (AfCFTA) brachten die Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union (AU) 2018 die Schaffung der weltweit größten Freihandelszone auf den Weg. Das Abkommen sieht den Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen vor, wodurch ein afrikanischer Binnenmarkt entstehen soll. Der freie Warenverkehr soll den intra-afrikanischen Handel stärken. Damit dies gelinge, mussnach Ansicht Dr. Mathukis in Berufsbildung investiert werden: Eine Verbesserung des Humankapitals sowie der zunehmende Ausbau des Schienenverkehrs in Ostafrika könnten die Voraussetzungen für den innerafrikanischen Handel verbessern und sich somit als wahre „game-changer“ herausstellen. Doch bietet eine erfolgreiche AfCFTA-Implementierung nicht nur Chancen für afrikanische Unternehmen:
„Mit der Schaffung der kontinentalen Freihandelszone wollen wir Wertschöpfung und den Anteil der in Afrika hergestellten Enderzeugnisse erhöhen. Gleichzeitig geht mit der Umsetzung des AfCFTA auch für europäische und deutsche Unternehmen die Chance einher, durch Investitionen Zugang zu wachsenden Märkten zu erlangen.“
Dr. Peter Mathuki, Generaldirektor des East African Business Council
In Ostafrika liegen die Branchen mit hohem Investitionspotential vornehmlich im Bereich der Textil- und Lederwarenproduktion. Dank Viehzucht und Baumwollanbau bestehe eine hohe Verfügbarkeit an notwendigen Ressourcen, so Dr. Mathuki. Daher sei eine strategische Partnerschaft deutscher Unternehmen mit ostafrikanischen Unternehmen gerade im Bekleidungssektor sehr gut vorstellbar. Ferner nennt der Generaldirektor des EABC Geschäftsmodelle aus den Bereichen Technologie, Digitalisierung und E-Commerce als weitere Schlüsselsektoren für investitionswillige Unternehmen. Dies zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel der mobilen Geldtransfers in Ostafrika: Mit über 100 Mio. aktiven Accounts ist der pro-Kopf-Anteil von Nutzern entsprechender Dienste in den Ländern der ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) weltweit am höchsten. Darüber hinaus bieten nach Auskunft Dr. Mathukis auch die pharmazeutische Industrie, Landwirtschaft sowie der Tourismus Investitionsmöglichkeiten für ausländische Unternehmen.
COVID-19 bremst den Aufschwung
Obwohl das AfCFTA-Abkommen völkerrechtlich bereits im vergangenen Jahr in Kraft trat, hat die AU den offiziellen Handelsstart aufgrund von COVID-19 inzwischen auf 2021 verschoben. Als Gesundheits- und Wirtschaftskrise zugleich zieht die derzeitige Pandemie erhebliche Beeinträchtigungen für die Wirtschaft und die Bevölkerung afrikanischer Staaten nach sich. Laut Dr. Mathuki zeigen sich diese unter anderem in der Tourismusindustrie. Derzeit setze sich der EABC dafür ein, dass der Tourismus und dazugehörige Teilsektoren Unterstützung von den Regierungen erhalten. Zudem sei die verarbeitende Industrie in Ostafrika schwer in Mitleidenschaft gezogen worden:
„Unsere Industrie ist von importierten Rohstoffen abhängig. Durch COVID-19 wurden die Lieferketten von und nach Europa, Amerika und Asien unterbrochen. Aufgrund der Einfuhrbeschränkungen brach auch der Logistik- und Transportsektor ein. Etwa reduzierte sich der LKW-Verkehr in Ostafrika um 30 Prozent.“
Dr. Peter Mathuki, Generaldirektor des East African Business Council
Weil viele Unternehmen in Folge der Pandemie ihre Kredite nicht an die Banken zurückzahlen konnten, wurde mit der Finanzindustrie ein weiterer Schlüsselsektor der ostafrikanischen Wirtschaft getroffen. Folglich kam es zu Liquiditätsproblemen, die nach Aussage Dr. Mathukis weiterhin fortbestehen. Danach stehen auch die Finanzinstitutionen vor der Herausforderung, die Wirtschaft in Zeiten der Krise angemessen zu unterstützen. Nicht zuletzt wurde nach Einschätzung des EABC-Generaldirektors auch der ostafrikanische Agrarsektor - Rückgrat der regionalen Wirtschaft - stark von den Auswirkungen von COVID-19 getroffen. Etwa 80 Prozent der dortigen Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten und beziehen ihren Lebensunterhalt aus der Landwirtschaft.
Zukunftsaussichten: Bessere Beziehungen zwischen Ostafrika und Europa
Einige Beobachter sehen in der Verschiebung des ursprünglich für Oktober 2020 geplanten AU-EU-Gipfels eine Chance für die verbesserte Ausgestaltung der europäisch-afrikanischen Handelsbeziehungen. So könnte die Verlängerung des Verhandlungszeitraums eine Chance bieten, Fortschritte im Hinblick auf lang bestehende Differenzen zu erzielen. Ein ähnlicher Vorteil könnte sich auch für Unternehmen ergeben, die den Ausbau der Handelspartnerschaft zwischen beiden Kontinenten vorantreiben wollen. Indem es Vertreter des öffentlichen Sektors und der Privatwirtschaft zusammenbringt, schafft das ebenfalls verschobene EU-Africa Business Forum (EABF) dafür eine konkrete Gelegenheit. Für den EABC stehen folgende Prioritäten im Vordergrund:
„Die Wiederaufnahme von Handel und Investitionen mit den Partnerstaaten der ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) ist für uns das oberste Ziel. Um die wirtschaftliche Erholung in Ostafrika sicherzustellen, hoffen wir auch auf eine Ausweitung der finanziellen und technischen Unterstützung aus dem Ausland.“
Dr. Peter Mathuki, Generaldirektor des East African Business Council
In dem im März 2020 präsentierten Entwurf der neuen EU-AU-Partnerschaft hatte die EU-Kommission bereits die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen zu einem Ziel der künftigen EU-Afrika-Strategie erklärt. Aus Sicht Dr. Mathukis messe sich der Erfolg der kommenden Strategie also auch daran, inwiefern diese die Gleichberechtigung zwischen beiden Kontinenten stärkt. Darüber hinaus müsse sich die Strategie als flexibel und benutzerfreundlich für die Wirtschaft in Ostafrika erweisen.