Lateinamerika: Wirtschaft klimagerecht und nachhaltig umbauen
Die aktuellen globalen Krisen treffen auch Lateinamerika mit voller Wucht – von den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine bis hin zu den Auswirkungen des Klimawandels und der Covid-19-Pandemie. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt ihre Partner in der Region daher weiterhin konsequent und setzt dabei besonders auf eine sozial-ökologische Transformation der dortigen Wirtschaft. Das war eine der zentralen Botschaften von Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, während ihrer Reise nach Kolumbien und Bolivien im August 2022.
Die deutsche Entwicklungspolitik richtet sich in den kommenden Jahren besonders an vier Schwerpunkten aus: die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen bewältigen, Armut und Hunger zurückdrängen, eine feministische Entwicklungspolitik etablieren und die sogenannte „Just Transition“ vorantreiben. Gemeint ist damit der sozial gerechte Übergang zu klimaneutralen und nachhaltigen Gesellschaften. „Dazu gehört, dass den Menschen zugleich Einkommen und wirtschaftliche Perspektive gesichert werden. Nur so kann dieser dringende Umbau schnell umgesetzt werden, ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden“, so die Bundesministerin.
Gerechte Transformation: wirtschaftlich erfolgreich, ökologisch und sozial
Das Leitmotiv der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika ist grün und gerecht: Darauf ausgerichtet wird Deutschland sein Engagement beim Klima- und Umweltschutz gemeinsam mit Kolumbien und Bolivien ausbauen. Im konkreten Fall von Bolivien steht der Schutz der Regenwälder im Amazonas-Gebiet im Fokus und das Land dessen Energieversorgung größtenteils von erdgasbetriebenen Kraftwerken abhängt, wird bei seiner Energiewende vermehrt unterstützt. Der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien ist auch erklärtes Ziel der bolivianischen Regierung, die den Anteil von Solar- und Windenergie am nationalen Energiemix in den kommenden Jahren verdoppeln will. Mit einem Urbanisierungsgrad von über 80 Prozent in Kolumbien gehört eine nachhaltige Stadtentwicklung auch zum Kooperationsportfolio. Beim Besuch eines von Deutschland geförderten Kreislaufwirtschaftslabors in Bogotá, betonte die Ministerin, dass neben dem Ziel, die Recyclingquote in der Millionenstadt zu erhöhen, auch notwendig sei, die Lage der Wertstoffsammler:innen zu verbessern. Hier arbeiten Staat, Gemeinden und Privatwirtschaft konstruktiv zusammen. Viele Länder der Region gelten als Rohstoffökonomien. Ihnen kommt daher im Sinne der Just Transition eine Schlüsselrolle bei der Diversifizierung und Transformation hin zu einer nachhaltigeren und breitenwirksamen Produktion zu. In diesem Bereich bietet Lateinamerika großes Potenzial für wirtschaftliche Kooperationen mit deutschen Unternehmen aus den verschiedensten Sektoren. Durch ihre Erfahrung und innovative Technologien ist der deutsche Privatsektor ein idealer Partner, um mit unternehmerischem Engagement zur Entwicklung beizutragen – beispielsweise für Menschen- und Arbeitsrechte, Qualifizierung und Umweltschutz.
Armut und Hunger wirksam zurückdrängen
Im Vorfeld ihrer Reise kündigte Schulze an: „Wir möchten unsere Partner in Regierung und Zivilgesellschaft unterstützen beim Ziel, ihre Gesellschaften, die heute noch besonders große Unterschiede zwischen Arm und Reich aufweisen, gerechter zu machen – durch den Abbau sozialer Ungleichheit, die Stärkung der Rechte von benachteiligten Gruppen und eine echte Gleichberechtigung der Geschlechter.“ Nicht zuletzt hat die COVID-19 Pandemie zu einer Verschärfung der sozialen Ungleichheit in Lateinamerika beigetragen. Zudem ist die Region von den Folgen des Klimawandels und extremer Wetterereignisse von Hunger und Armut bedroht. Hinzu kommt, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die dadurch angespannte Lage auf den globalen Agrarmärkten die Agrarlieferketten in Lateinamerika und der Karibik zusätzlich unter enormen Druck setzt. Laut der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) werden in der Region 78 Prozent des in der Landwirtschaft genutzten Düngers importiert, davon ein Großteil aus Russland. Weil die Kosten für Dünger etwa beim Anbau von Kaffee etwa 20 Prozent der Gesamtkosten ausmachen und bei Mais sogar 40 Prozent, wirke sich die aktuelle Knappheit an Dünger deutlich auf die kleineren oder mittleren Volkswirtschaften in der Region aus, die stark vom Export dieser Güter abhängen. In der Region stiegen im Jahr 2021 die Preise für importierte Lebensmittel um 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, so die Vereinten Nationen. In allen weltweit am wenigsten entwickelten Ländern zusammen waren es 27 Prozent. Angesichts der weltweiten Notwendigkeit alternatives Saatgut zu identifizieren, lohnt es sich den Blick auf das Erbe tausendjähriger Kulturen zu weiten: Auf den Feldern der Region wachsen traditionelle Nahrungsmittel wie Quinoa oder Amaranth, die als Basisgetreide von indigenen Hochkulturen seit jeher kultiviert werden und eine wichtige Rolle bei der Diversifizierung der Landwirtschaft spielen können. Die FAO stuft die „Andenhirse“ nicht nur wegen ihrer vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten, sondern auch aufgrund ihrer hohen Nährstoffqualität und Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Umweltbedingungen als vielversprechend ein. Wird deren Anbau gezielt gefördert, reduziert das die Abhängigkeit von anderen Grundnahrungsmitteln wie Reis oder Weizen.
Frauen müssen Teil der Lösung sein, damit Entwicklungspolitik erfolgreich ist
Eine hohe informelle Beschäftigung charakterisiert die lateinamerikanischen Arbeitsmärkte, von deren Schattenseiten Frauen tendenziell stärker betroffen sind als Männer. Frauen übernehmen in Lateinamerika auch eine maßgebliche Rolle bei der landwirtschaftlichen Produktion, der Verarbeitung und dem Verkauf der Produkte auf lokalen und regionalen Märkten und tragen damit zur Ernährungssicherung der Haushalte bei. Ihre Situation ist aber schwierig: Die landwirtschaftliche Produktivität ist in kaum einer anderen Region der Welt so niedrig, die Resilienz gegenüber externen Schocks wie Dürren oder Überschwemmungen ist gering und die Frauen erhalten kaum Zugang zu erschwinglichen Finanzprodukten wie Krediten oder Bankkonten. Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechts und Gewalt gehören für Frauen und Mädchen vielerorts zum Alltag; ihre Diskriminierung ist in vielen Ländern strukturell in Traditionen oder gesellschaftlichen Normen fest verankert. Es ist daher als besonders wichtiges Zeichen zu verstehen, dass Bundesministerin Svenja Schulze, während ihrer Lateinamerikareise ein Frauenrechtsprojekt der Organisation von Aymara-Frauen in Kollasuyo (Organización de Mujeres Aymaras del Kollasuyo, OMAK) besuchte. Sie unterstrich damit den hohen Stellenwert einer feministischen Entwicklungspolitik. Diese geht jedoch über die Förderung von Frauen etwa im Hinblick auf die Registrierung von Landrechten oder einen leichteren Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln hinaus. Sie setzt sich laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) „umfassend für eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben – unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Behinderung oder von anderen Merkmalen“ ein.
Privatwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit – Hand in Hand
Doch bei der Lateinamerikareise von Svenja Schulze wurde deutlich: Die Herausforderungen für die Region sind immens und sie können nicht allein mit öffentlichen Mitteln bewältigt werden. Daher ist auch die Privatwirtschaft gefragt, sich dort wie auch in anderen Regionen für eine entwicklungsorientierte und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu engagieren. Der Privatsektor hat hier ein enormes Erfolgspotenzial: Er entwickelt neue wissensbasierte Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft und kann seine finanziellen Ressourcen, sein Know-how und Innovationen in die Landwirtschaft und damit in den Kampf gegen Hunger investieren.
Mit vielen Partnern für eine „Just Transition“ in Lateinamerika
Zusammenarbeit ist der Schlüssel für eine Just Transition zu dessen Erreichung Akteur:innen innen über alle Sektoren hinweg aufgerufen sind zu kollaborieren. In diesem Sinne arbeitet das BMZ eng mit vielen internationalen Partnern, wie der Weltbank, derInteramerikanischen Entwicklungsbank (IDB), der Europäischen Union und den Vereinten Nationen zusammen. Diesen Ansatz unterstrich auch das Reiseprogramm der Ministerin in Kolumbien und Bolivien. Sie traf sich mit Vertreter:innen innen der jeweiligen Regierungen, der Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und der internationalen Zusammenarbeit. Ein solcher Ansatz ist unverzichtbar, damit die vielschichtige sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft in Lateinamerika Früchte trägt.
Anmerkung der AWE-Redaktion: Der Beitrag erschien im Konferenzmagazin zum 73. Lateinamerika-Tag am 10. und 11. November 2022 in Hamburg.
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