Sorgfaltspflichten in der Automobilindustrie: Ein einheitlicher Ansatz für KMUs

Dekarbonisierung, verbesserte Kreislaufwirtschaft, durchgängige Rückverfolgbarkeit. Die Anwendungsszenarien, die die Automobilbranche mit Catena-X anstrebt, sind vielfältig. Das kollaborative Daten-Ökosystem soll einen standardisierten globalen Datenaustausch ermöglichen und so für mehr Effizienz und Transparenz sorgen.
Seit einem guten halben Jahr steht auch die menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfalt auf der Agenda von Catena-X. Nina Freund (RSCI e. V.), Jürgen Schöneck (Magna International) und Dr. Piotr Warmbier (BMW AG) sind Mitglieder des Catena-X-Teilprojekts „Due Diligence Check for SME“. Im Interview berichten sie von ihren Zielen und von der komplexen, aber guten Zusammenarbeit im Projekt.
Sorgfaltspflichten in der Automobilindustrie: Status quo und Entwicklung
Redaktion: Bevor wir in das Catena-X-Projekt einsteigen, möchten wir zunächst den Blick auf das große Ganze richten: Wo steht Ihre Branche aktuell bei der Umsetzung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfalt – und wie viel Dynamik nehmen Sie dabei wahr?
Nina Freund: Die Automobilindustrie hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, wenn es um die Umsetzung von Sorgfaltspflichten geht. Viele Unternehmen haben Compliance-Strukturen aufgebaut, Codes of Conduct erstellt, Risikomanagement-Tools eingeführt, Beschwerdemechanismen etabliert. Nicht zuletzt wurden branchenübergreifend standardisierte Auditprozesse entwickelt. Die Responsible Supply Chain Initiative (RSCI), die 2021 aus der Branche heraus entstanden ist, ist dafür ein konkretes Beispiel.
Jürgen Schöneck: Durch die Omnibus-Verordnung und die mediale Berichterstattung dazu kann man den Eindruck bekommen, dass das Thema an Bedeutung verliert. Aber das stimmt nicht. Ich sehe Omnibus als einen sehr sinnvollen Abbau von Bürokratie, der aber nichts an unserem Engagement ändert. Der Drive ist immer noch da und ich finde es persönlich auch sehr wichtig, dass es weitergeht. Wir haben als Industrie eine Verantwortung, uns um die Menschenrechte und die Umwelt zu kümmern.
KMUs sind mit einer Vielzahl an Fragenbögen und Audit-Standards konfrontiert
Redaktion: Wann entstand die Idee, die gemeinsame Datenplattform Catena-X auch für Due-Diligence-Prozesse zu nutzen?
Jürgen Schöneck: Als es mit Catena-X losging, habe ich eigentlich direkt gedacht, dass das Thema Due Diligence da mit reingehört. Das konkrete Projekt haben wir aber Piotr zu verdanken, der die Idee vor etwa einem Jahr im VDA-Arbeitskreis vorgestellt hat.
Dr. Piotr Warmbier: Unser wichtigster Gedanke dabei war, dass wir die Zuliefererperspektive mit einbinden wollten. Eine Besonderheit der Automobilbranche ist ja, dass wir eine hohe Anzahl an KMUs haben, die von LkSG und CSDDD zwar nicht direkt, aber als Zulieferer indirekt betroffen sind. Diese KMUs bedienen nicht nur die Automobilbranche, sondern auch andere Industrien und sind dadurch mit einer Vielzahl an Fragebögen und Audit-Standards konfrontiert. Diese mehrfache Datenerfassung wollen wir reduzieren und einen einheitlichen, risikobasierten und ressourcenschonenden Ansatz entwickeln.
Nina Freund: Ziel ist ein standardisiertes, leicht anwendbares Verfahren, mit dem KMU Sorgfaltsprozesse effizient im Kerngeschäft verankern können. Auf freiwilliger Basis können die KMU dann die Ergebnisse mehreren Abnehmern zur Verfügung stellen.
Der Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte als neutrale Instanz und Inputgeber
Redaktion: Neben zahlreichen Unternehmen und einigen Brancheninitiativen ist auch der Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte an dem Projekt beteiligt. Wie kam es dazu?
Dr. Piotr Warmbier: In der Vorbereitungsphase vor unserem Kick-off-Treffen waren wir im Austausch mit OEMs, Lieferanten, technischen Providern und Beratungshäusern und sind dann auch mit dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWE) sowie dem Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) in Kontakt getreten. Aus diesen Gesprächen ist die Idee entstanden, mit dem Helpdesk WiMR zusammenzuarbeiten. Zum einen, um eine unabhängige, neutrale Instanz dabei zu haben, und zum anderen, um Erfahrungen aus anderen Branchen und Initiativen mit einzubringen.
Nina Freund: Ich glaube, uns allen ist bewusst, dass die Industrie die Herausforderungen allein nicht stemmen kann, sondern dass es einen Schulterschluss zwischen Unternehmen, Initiativen, politischen Akteuren und weiteren Stakeholdern braucht. Der Helpdesk WiMR unterstützt Unternehmen seit vielen Jahren in der Umsetzung von Sorgfaltsprozessen, indem er Tools, Leitfäden und Good Practices kostenfrei zur Verfügung stellt – beispielsweise den CSR Risiko-Check, den der VDA schon länger nutzt und seinen Mitgliedern empfiehlt. In diesem Projekt kommt uns vor allem der Standards-Kompass zugute, weil er eine strukturierte Übersicht über bestehende Standards bietet und es uns ermöglicht, diese systematisch zu vergleichen. Kurzum: Die Zusammenarbeit mit dem Helpdesk ist für uns sehr wertvoll.
Jürgen Schöneck: Ich kann das nur bestärken. Es ist sehr bereichernd, wenn neutrale Personen dabei sind, die den Prozess leiten und lenken und im Übrigen auch dazu beitragen, dass eine gute und persönliche Atmosphäre herrscht. Für mich fühlt sich dieser Arbeitskreis wie eine große Nachhaltigkeitsfamilie an.
Arbeitsgruppen: Regelmäßige Abstimmung ist essenziell
Redaktion: Das klingt sehr vielversprechend. Wie ist denn der aktuelle Stand des Projekts?
Dr. Piotr Warmbier: Im Mai hatten wir unser Kick-off-Meeting in München, bei dem wir erstmal die Struktur etabliert haben. In fünf Arbeitspaketen beschäftigen wir uns seither mit verschiedenen Themen, von der Definition der Rechtsschutzgüter über die abstrakte und konkrete Risikoanalyse bis hin zu Methodik und Technologie.
Nina Freund: Im Rahmen dieser Arbeitsgruppen gibt es dann auch noch Unterarbeitsgruppen zu spezifischen Themen. Etwa bei der konkreten Risikoanalyse, da haben wir Unterarbeitsgruppen zu Codes of Conduct, SAQs und Audits.
Redaktion: Klingt komplex.
Nina Freund: Das ist es auch. Aktuell sind circa dreißig Personen an dem Projekt beteiligt und es ist sehr wichtig, dass wir uns regelmäßig abstimmen und auf dem Laufenden halten, sowohl innerhalb der Arbeitsgruppen als auch in der großen Runde.
Dr. Piotr Warmbier: Im November hatten wir unser erstes On-Site-Meeting, das war sehr motivierend. Wir haben eine Meilensteinplanung verabschiedet und werden 2026 in die ersten Outputs und dann – gegen Ende nächsten Jahres – auch langsam in die Vorbereitung des Piloten gehen können.
Die Vision: Einheitliche Prozesse, reibungsloser Datenaustausch
Redaktion: Sie klingen zuversichtlich. Wie blicken Sie in die Zukunft? Und was wünschen Sie sich?
Jürgen Schöneck: Ich mache jetzt mal einen großen Wurf, wohlwissend, dass wir nicht über die nächsten paar Tage und Wochen, sondern eher über Monate und Jahre sprechen. Meine Vision wäre eine automatisierte und einheitliche Risikoanalyse. Dass es einen reibungslosen Datenaustausch gibt und ein gemeinsames Verständnis dafür, wann man welche Anforderungen erfüllen muss, wann welche Due-Diligence-Tools zum Einsatz kommen. Und dass dieses gute System nicht nur bis zum direkten Lieferanten reicht, sondern bis hin zur Mine. Das wäre meine langfristige Vision für unser Projekt.
Dr. Piotr Warmbier: Ich hoffe auch, dass wir das, woran wir jetzt arbeiten, perspektivisch ausweiten können. Auf die tiefere Lieferkette, wie Jürgen sagt, aber auch auf andere Industrien. Wenn wir etwas kurzfristiger denken, wäre ich sehr froh, wenn wir im kommenden Jahr genauso weiter agieren, wie wir es in den ersten sechs Monaten getan haben. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das gelingt, denn alle Beteiligten sind mit großem Engagement dabei.
Nina Freund: Ich freue mich, wenn wir mit der zentralen IT-Lösung die aktuell sehr fragmentierte Tool-Landschaft zusammenführen und integrierbar machen. Je besser das funktioniert, desto höher wird die Akzeptanz bei den Unternehmen sein, das System auch zu nutzen. Diese Akzeptanz ist sehr wichtig und die müssen wir auch immer wieder abfragen.
Jürgen Schöneck: Noch ein letzter Satz, der mir wichtig ist: Wir müssen immer wieder daran denken, warum wir das Ganze eigentlich machen. Es geht nicht darum, ein perfektes System für uns und unsere Lieferanten zu schaffen. Sondern es geht darum, Menschenrechtsverletzungen und signifikante Umweltverschmutzungen in der Lieferkette zu vermeiden. Alles, was wir tun, muss auf dieses Ziel einzahlen.
Veröffentlicht am

