Ukraine: Wo Wasser aus Sonnenenergie entsteht
Ein unternehmerisches Engagement im Kriegsgebiet? Für Dr. Hamed Beheshti steht fest: Diese Verantwortung will er als Geschäftsführer der Boreal Light GmbH in der Ukraine übernehmen. „Wenn ich etwas produziere, das in einem bestimmten Land gebraucht wird und ein bestimmtes Problem dort löst, dann ist es meine moralische, unternehmerische und menschliche Verantwortung, dass ich mein Produkt an diesem Ort bereitstelle.“
Am 14. und 15. November 2023 ist der Unternehmer auf der Konferenz und Messe „Rebuild Ukraine“ in Warschau unterwegs und stellt sein Projekt vor. Dort diskutieren Entscheider:innen, Unternehmer:innen und Fachleute nachhaltige Energieversorgung und den Aufbau von Infrastruktur in der Ukraine nach dem Leitsatz „Build back better“.
Beheshti hat bereits im Land investiert und geht mit gutem Beispiel voran: Boreal Light fertigt Wasserentsalzungssysteme in Berlin sowie Nairobi und betreibt oder verkauft sie weltweit in 20 Ländern, in denen sauberes Trinkwasser rar ist. Das Besondere: Die Systeme sichern die Wasserversorgung klimaneutral mit Solarenergie. Die Maschinen sind außerdem einfach zu bedienen und günstig im Betrieb.
Trinkbares Wasser für die Ukraine
Boreal Light ist seit 2014 in den sonnenreichen Regionen Sub-Sahara Afrikas und Lateinamerikas aktiv. Im nordkenianischen Lodwar versorgt das Unternehmen unter dem Namen WaterKiosk Africa zum Beispiel ein Krankenhaus mit Trinkwasser.
2022 passierte etwas, mit dem Co-Gründer Beheshti nicht gerechnet hat: „Als wir das Wasserentsalzungssystem entwickelten, hätten wir niemals gedacht, dass wir es mal in Europa einsetzen würden. Es war bis dahin nicht vorhersehbar, dass die Menschen in einem europäischen Land nicht ausreichend mit Trinkwasser- und Strom versorgt werden könnten.“ Russische Bomben zerstörten zahlreiche Wasserleitungen – die Verunreinigung des Wassers in der Ukraine war die Folge. Zudem funktioniert die Versorgung mit Elektrizität im Krieg nicht durchgängig reibungslos.
Solarbetrieb bei minus 20 Grad
Die Stadt Mykolajiw im Süden der Ukraine ist von dem Wassermangel betroffen. In der Großstadt wohnen rund eine halbe Million Menschen. „Mykolajiw war bereits bevor wir kamen die Solarhauptstadt der Ukraine. Es gab dort viele solarbetriebene Installationen. Das macht die Stadt einzigartig“, so Beheshti. Allerdings: Die Temperaturen im Winter können bis auf minus 20 Grad sinken. Eine Herausforderung für die Boreal Light GmbH, die ihre Anlagen normalerweise in wärmeren Regionen einsetzt.
„Normalerweise produzieren unsere Maschinen 1.000 bis 20.000 Liter Wasser pro Stunde. Das reicht nicht für eine Großstadt. Deshalb installierten wir in Mykolajiw fünf Systeme, die insgesamt 125.000 Liter Wasser pro Stunde liefern. Die Maschinen laufen mit Solarenergie, solange es Sonne gibt. Danach schalten sie auf Strom um – und umgekehrt. Das reicht für den Trinkwasserbedarf der Stadt.“ In allen anderen Ländern hätten sich die die Systeme eher überhitzt, erklärt Beheshti weiter: „Die Ukraine war unser erster Markt, wo wir planen mussten, wie wir die Maschinen warmhalten. Deshalb haben wir Heizungen in den Containern installiert.“
Ausnahmezustand Krieg
Boreal Light kofinanzierte das Projekt in Mykolajiw im Rahmen des develoPPP Programms des Bundesentwicklungsministeriums gemeinsam mit der DEG Impulse gGmbH, einer gemeinnützigen Tochtergesellschaft der DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH lieferte die Systeme von Berlin in die Südukraine: „Dank der großzügigen Unterstützung der GIZ bei der Logistik lief die Auslieferung ziemlich glatt“, sagt Beheshti. Hinzu kam, dass die Wasserbetriebe in Mykolajiw vor Ort die nötigen Kontakte herstellten und bei Fragen berieten.
Der Aufbau der Anlage im Kriegsgebiet lief jedoch nicht immer rund: „Die Vorbereitung bis hin zum Betrieb sollte eigentlich nur 10 Tage dauern. Stattdessen haben wir drei Monate gebraucht.“ Das habe mit dem Krieg zu tun: Gut ausgebildete Techniker und junge ukrainische Männer müssten zum Militär und an die Front, erklärt Beheshti. In der Praxis bedeutete das: Der Zulieferer konnte den Zement nicht wie geplant bereitstellen, weil er nur in Teilzeit im Dienst war. Die ukrainischen Arbeiter:innen waren größtenteils über 60 Jahre alt und konnten nicht so lange körperlich arbeiten oder kannten sich nicht mit Technik aus.
Geplant war auch, ukrainische Experten in Berlin auszubilden. Jedoch durften die Männer nicht aus der Ukraine ausreisen. „Nach der dritten gescheiterten Anfrage beim Militär entschieden wir uns dazu, die Trainings in Mykolajiw vor Ort durchzuführen. Wir stellten dafür Trainingsvideos bereit“, berichtet Beheshti. Zusätzlich reiste ein deutsches Team aus Berlin an.
Die Kriegsumstände haben den Gründer nicht kalt gelassen: „Als mein Team im Einsatz war, wurde die Stadt drei Mal angegriffen. Junge Leute aus Deutschland an so einen Ort zu bringen, von ihnen zu erwarten, dass sie dort arbeiten – da lastete eine große Verantwortung auf meinen Schultern. Ich war sehr besorgt und hoffte, dass alle wieder sicher nach Hause kommen.“
In der Ukraine investieren
Dr. Hamed Beheshti bereut sein Engagement trotzdem nicht. Stattdessen ermutigt er andere Unternehmen, auch in der Ukraine zu investieren – Chancen sieht er besonders in den Bereichen Wasser und Elektrizität. Konferenzen wie „Rebuild Ukraine“ seien ein idealer Ausgangspunkt dafür: „Solche Messen und Konferenzen sind gute Orte für Unternehmen, die noch keine Kontakte in der Ukraine haben. Sie bieten Gelegenheit, die richtigen Partner zu finden und Entscheidern zu zeigen, was die Firmen dem Markt bieten können.“
Die Boreal Light GmbH selbst ist momentan auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten. Bald wird sie den Betrieb ihrer Wasserentsalzungsanlagen in die Hände der Verantwortlichen in Mykolajiw übergeben. Der Plan ist, die Wasserentsalzungssysteme dann auch in anderen Gebieten in der Ukraine zu installieren. 92 Städte und Gemeinden haben bereits Interesse angemeldet. Schon jetzt ist das solarbetriebene Wasserentsalzungssystem in Mykolajiw jedoch das größte in Europa.
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