Unternehmer Paul Bethke. Die Welt verbessern, Schluck für Schluck

Bereits als Schüler geht Paul Bethke zum ersten Mal nach Sri Lanka. Dort wächst in ihm der Wunsch, ein Unternehmen zu gründen, das benachteiligte Regionen unterstützt. Daraus entsteht das Unternehmen Lemonaid Beverages GmbH, das heute Gastronomen und Supermärkte in aller Welt mit Limonaden und Eistees beliefert. Lemonaid bezieht die Zutaten direkt aus Ländern des Globalen Südens und unterstützt bei den Lieferanten vor Ort soziale Projekte. Doch der Aufbau des Unternehmens verläuft nicht ohne Turbulenzen. Paul Bethke ist Teil des „Team Transformation“, einer Gruppe von fünf Vordenker:innen, die sich mit den Programmen der Partners in Transformation für eine nachhaltige und faire Wirtschaft einsetzen..
Und irgendwann fiel jemandem auf, dass zu wenig Zucker in der Limonade ist. Im Jahr 2018 sind die beiden Unternehmer Paul Bethke und Felix Langguth mit ihrem Unternehmen Lemonaid Beverages GmbH schon fast zehn Jahre auf dem Markt. Das Geschäft läuft, die Umsätze steigen. Dann erhält Lemonaid einen Mahnbescheid vom Hamburger Amt für Verbraucherschutz. Der Vorwurf: Ihre „Lemonaid“ enthalte statt der geforderten sieben Prozent nur 5,5 Prozent Zucker, und dürfe deshalb nicht Limonade genannt werden. Was trivial klingt, ist tatsächlich ein echtes Problem für die Unternehmer: „Wir hätten unsere Flaschen umfüllen und neu beschriften müssen, was schwierig geworden wäre, da Etiketten speziell verbrannt werden müssen und wir deshalb Flaschen direkt bedrucken. Im Endeffekt hätten wir die Produkte vom Markt nehmen müssen und hätten insolvent gehen können“, erzählt Paul Bethke. Das Hamburger Unternehmen wehrt sich, zieht vor Gericht. Wenig später nimmt das Amt die Abmahnung zurück. Im Mai 2024 streicht die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission offiziell die Regelung, dass Limonade sieben Prozent Zucker enthalten muss.
Heute ist diese Angelegenheit eine kuriose Fußnote in der nicht ereignisarmen Unternehmensgeschichte. Lemonaid Beverages hat sich am Markt etabliert, beschäftigt 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und bringt jährlich zwischen 35 und 38 Millionen Flaschen Limonade und Tee in Supermärkte, Cafés, Bars und Restaurants. Die Idee: Das Unternehmen verkauft Limonade und Eistee mit wenig Zucker und bezieht die Rohstoffe direkt aus Ländern des Globalen Südens. Gleichzeitig fördert der Lemonaid & ChariTea e.V. gemeinnützige Projekte. Was braucht es, um so ein Sozialunternehmen aufzubauen? Die Antwort dazu ist eng verbunden mit Biografie eines der beiden Gründer, Paul Bethke.
Schockverliebt in Sri Lanka
Bereits 1997, mit 15 Jahren, geht der junge Paul als Schüler ins Ausland. „Ich habe mir viele Fragen gestellt, wie das Leben so funktioniert. Deshalb wollte ich die Welt sehen.“ Über die Kontakte seiner Mutter, einer Grundschullehrerin, geht es nach Sri Lanka an die British School in Colombo. „Es war noch nicht das Traumurlaubsland, als das man es heute kennt“, erinnert sich Bethke. Noch bis 2009 herrschte hier Bürgerkrieg, vor allem im Norden und Osten des Landes. Trotzdem verliebt sich Bethke in das Land, und bleibt ihm bis heute verbunden. Über die Hälfte des Jahres verbringt er dort und auch seine drei Kinder sind hier geboren. „Hier in Sri Lanka herrscht eine gewisse Gelassenheit, man hat hier sozusagen eine Vogelperspektive aufs Leben.“ Seine Familie rechnet damals damit, dass der 15-jährige Bethke nach wenigen Monate Heimweh bekommen könnte. Stattdessen bleibt er bis zu seinem Abitur auf der Insel. Nach der Schule geht’s für Paul Bethke zum Studium unter anderem nach Edinburgh – im Gegensatz zu einigen seiner sri-lankischen Mitschüler:innen. „In meiner Klasse gab es Schüler, die deutlich besser waren als ich, aber danach nicht studieren konnten. Das hat mich nachdenklich gemacht.“
Verteilungsgerechtigkeit schaffen, Hindernisse überwinden, dies wird nach seinem Wirtschafts- und Psychologie-Studium zu seiner Agenda. Zunächst kehrt er im Jahr 2006 als Projektkoordinator zurück nach Sri Lanka., Er hilft mit, das Land nach der Tsunami-Katastrophe zwei Jahre zuvor wieder aufzubauen: „Ich wollte aber eigentlich nicht nur Gelder verteilen, sondern diese auch selbst erarbeitet haben.“ So entsteht bei Paul Bethke der Wunsch, ein soziales Unternehmen aufzubauen. Zusammen mit Felix Langguth, einem früheren Kommilitonen, macht er sich an die Arbeit. „Am Anfang waren wir vielleicht ein bisschen naiv“, erinnert sich Bethke.
Unternehmensgründung in der Finanzkrise
Mitten in der Finanzkrise gründen die beiden ihr Unternehmen. Die Rezepte für Limonade und Eistee entstehen in Paul Bethkes Hamburger Küche. Die Limonade von dort in die Supermärkte zu bringen, gestaltet sich als Herausforderung. „Wir dachten, wir haben eine super Idee, wollen Limonade verkaufen und Projekte unterstützen. Jede Bank hat uns mit Kopfschütteln empfangen und gesagt, sie hätten ganz andere Probleme.“ Neben der Finanzierung haben Bethke und Langguth mit ganz praktischen Problemen zu kämpfen. Denn es gibt niemanden, der ihre Getränke abfüllen und im großen Maße produzieren will – beziehungsweise kann: „In Deutschland wird Limonade vor allem mit Sirup hergestellt. Sirup wird mit Wasser gemischt und als Limonade verkauft. Und darauf sind auch die Abfüllanlagen geeicht. Wenn man aber jetzt, wie wir, kommt und sagt: Ich habe losen Tee und möchte daraus Eistee machen, dann fasst sich erstmal jeder Hersteller an den Kopf.“ Bethke und Langguth sprechen mit Hunderten von Abfüllern und niemand kann ihnen helfen. Bis ein Hersteller vorschlägt: Ich habe zwar auch nicht die richtigen Anlagen – aber ich baue sie zusammen mit euch.
Ein zu gemeinnütziges Unterfangen
Nachdem die Anfangsschwierigkeiten überwunden sind, kommt das Geschäft ins Rollen. Bethke und Langguth scheinen mit ihrem Produkt einen Nerv zu treffen und verkaufen mehr und mehr Flaschen. Damit tragen sie auch zu einer immer vielfältigeren Getränkelandschaft im Supermarkt bei. Für sein Unternehmen erhält Bethke 2016 den Deutschen Gründerpreis. Gleichzeitig werden mit dem steigenden Verkauf auch immer mehr Projekte des Lemonaid & ChariTea e.V. gefördert. Überall auf der Welt. Heute sind es 36 lokale Initiativen in Afrika, Südamerika und Asien. Doch dass die beiden mit ihrem Projekt Neuland betreten, zeigt sich anhand der Reaktion der öffentlichen Verwaltung. 2021, drei Jahre nach der Abmahnung durch die Hamburger Lebensmittelbehörde, beginnt der nächste Rechtsstreit, der bis heute anhält.
Diesmal ist es das Finanzamt, das Lemonaid Beverages abmahnt. Aus der Sicht des Amtes hätten sie die Zahlungen „ohne Gegenleistung“ getätigt. „Was das Finanzamt also sagt, ist: Die Unterstützung eines gemeinnützigen Projektes hat keinen unternehmerischen Gegenwert. Während es in Ordnung ist, einen Auto- Rennstall zu unterstützen, ist es laut Amt wertlos, Menschen in schwierigen Lebenslagen zu fördern. Eine Debatte, in der ich gern meinen Standpunkt erläutern werde“, so Bethke. Bethke und Langguth hatten sich bewusst für ein Sponsoring entschieden. Im Falle eines Spendenmodells können laut Gesetz nur 0,4 Prozent der Einnahmen des Unternehmens an den unabhängig agierenden gemeinnützigen Verein gehen Viel zu wenig. Lemonaid Beverages gibt heute ein Vielfaches hiervon ab. Noch im diesen Jahr treffen sich beide Parteien zum Ausfechten der Thematik beim Finanzgericht.
Nächstes Ziel: Madagaskar
Bethke glaubt an den Erfolg seines Unternehmens im Rechtsstreit: „Unsere Kundinnen und Kunden kaufen unsere Produkte ja auch, weil sie wissen, dass sie damit einen guten Zweck verfolgen.“ Das Sponsoring ist somit auch ein Investment in die eigene Glaubwürdigkeit. Bethke selbst wurde bereits im Jahr 2021 vom Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung des Bundestages gefragt, wie man soziale Unternehmen in Deutschland stärken könnte und hielt einen Vortrag dazu im Bundestagsbeirat. „Wenn es wirklich ein öffentliches Anliegen ist, soziale Unternehmen zu stärken, dann muss der Wert, der durch sie entsteht, auch anerkannt werden.“
Trotz alledem geht der Blick für Bethke nach vorne, und zwar insbesondere nach Madagaskar, dem jüngsten Einsatzland. Hier sind gerade neue Projekte an den Start gegangen, die die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Menschen im Land fördern sollen, wie etwa Kleinkredite für Unternehmerinnen und Unternehmer. Außerdem soll es bei Lemonaid Neuerungen bei der Verpackung und im Sortiment geben. Doch wer weiß schon, was die Zukunft bringt? Da hilft nur sri-lankische Gelassenheit.
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