Ukraine: „Unser Portfolio hat sich sprunghaft vergrößert“
Vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine konzentrierte sich die KfW Entwicklungsbank im Rahmen der Deutsch-Ukrainischen Zusammenarbeit darauf, die Energieeffizienz in öffentlichen Gebäuden und die Energieübertragung zu verbessern. Auf der Agenda standen zudem eine nachhaltigere Wirtschaftsentwicklung und Naturschutz. Seit der Krim-Annexion 2014 kam die Unterstützung von Binnenvertriebenen dazu. Das Thema „Wiederaufbau“ stand nicht auf der Tagesordnung.
Wie hat sich die Schwerpunktsetzung seitdem geändert? Wie kann die Privatwirtschaft finanzielle Förderung für den Wiederaufbau bekommen und dabei von den „Töpfen“ der KfW und internationaler Geldgeber profitieren? Darüber haben wir mit Lorenz Gessner gesprochen. Er leitet das ukrainische Büro der KfW Entwicklungsbank in Kiew.
Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE): Herr Gessner, in welchem Umfang und bei welchen Themen ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) derzeit in der Ukraine engagiert? Wie hat sich das Portfolio seit Ausbruch des Krieges entwickelt?
Lorenz Gessner: Die KfW ist über den Geschäftsbereich KfW Entwicklungsbank seit den 1990er Jahren in der Ukraine aktiv. Unsere Schwerpunkte sind Energieeffizienz, Stadtentwicklung und Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung (Berufsbildung, Privat- und Finanzsektor). Weiterhin widmen wir uns den Binnenvertriebenen: Wir unterstützen vor allem über UN-Organisationen wie UNICEF oder die Internationale Organisation für Migration (IOM) bei der Finanzierung von Wohnraum, wirtschaftlicher Integration, Wasserversorgung und sozialen Dienstleistungen.
Zurzeit unterstützt die KfW Entwicklungsbank die Ukraine im Rahmen der sogenannten Finanziellen Zusammenarbeit mit über 30 laufenden Vorhaben im Wert von rund 1,26 Milliarden Euro. Infolge des Krieges werden die Gelder vor allem gebraucht, um staatliche Funktionen aufrechtzuerhalten, Binnenvertriebenen zu helfen, Nothilfe zu leisten und Infrastruktur wiederaufzubauen (insbesondere im Bereich Energie und sozialer Infrastruktur).
AWE: Der Privatsektor spielt beim Wiederaufbau eine entscheidende Rolle – auch für die KfW?
Gessner: Auf jeden Fall. Im Rahmen der Arbeit der Entwicklungsbank fließt auch Geld in die einheimische Wirtschaft, vor allem kleine und mittlere Unternehmen werden unterstützt. Ein wichtiger Akteur der KfW Bankengruppe für den Privatsektor ist die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG), die aktuell ukrainische Unternehmen mit Finanzierungen von rund 60 Millionen Euro, vor allem im Agrarsektor und in der IT-Branche begleitet. Hinzu kommt über Business Support Services noch Geld für humanitäre Hilfsprogramme, die von den ukrainischen Geschäftspartnern vor Ort durchgeführt werden. Und last but not least wird das Förderprogramm develoPPP in Kürze mit einem Sondercall „Ukraine“ an den Start gehen, um innovative unternehmerische Projekte von deutschen und ukranisischen Firmen zu fördern.
AWE: Im Zuge der Ukraine Recovery Conference (URC) wurden zusätzliche Milliarden-Hilfen beschlossen und weitere Staaten verkündeten Investitions- und Exportgarantien. Welche Rolle spielt die KfW bei diesen finanziellen Zusagen?
Gessner: Die URC hat gezeigt, dass die KfW mit ihrem Engagement und der Schwerpunktsetzung die aktuellen Bedürfnisse der ukrainischen Regierung sehr gut adressiert. Die KfW bleibt ein zuverlässiger Partner der Ukraine, wenn es um den Wiederaufbau des Landes und die Umsetzung weiterer Zusagen der deutschen Bundesregierung und der „Ukraine Facility“ der Europäischen Union geht. Letztere wurde mit einem Finanzvolumen von 50 Milliarden Euro (2024 bis 2027) ausgestattet.
Kreditgarantien werden dringend benötigt, um auch während des Krieges die Privatwirtschaft zu stärken und ihren Beitrag zur Stabilisierung des Landes in Wert zu setzen. Denn selbst unter Kriegsbedingungen gibt es wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen mit Finanzierungsbedarf, beispielsweise für die Instandhaltung ihres Maschinenparks oder die Vorbereitung neuer Aussaat.
AWE: Wie können private Unternehmen, die sich in der Ukraine engagieren wollen mit der KfW arbeiten?
Gessner: Als KfW Entwicklungsbank arbeiten wir in erster Linie mit staatlichen Akteuren in Deutschland und in der Ukraine zusammen. Diese setzen die Vorhaben um und schreiben bestimmte Leistungen oder die Beschaffung von Sachgütern aus. Hier sind dann private Unternehmen gefragt. Ein Beispiel ist der Ukraine Energy Support Fund (UESF), an dem sich die Bundesregierung signifikant beteiligt hat. Die öffentlich und international ausgeschrieben Leistungen auf die Unternehmen bieten können, werden regelmäßig bei Germany Trade and Invest (GTAI) veröffentlicht.
Das Finanzierungsangebot der DEG richtet sich grundsätzlich an wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen und Banken des Privatsektors, die entweder vor Ort ansässig sind oder aber aus Deutschland heraus in der Ukraine investieren und wirtschaftlich tätig werden.
AWE: Welche weiteren Maßnahmen wären wichtig, um mehr Investitionen aus dem Privatsektor anzuziehen?
Gessner: Damit wir als KfW Entwicklungsbank auch weiterhin in der Ukraine tätige Unternehmen und Banken finanziell unterstützen können, sind neben den oben angeführten Kreditgarantien zwei weitere Aspekte wichtig. Erstens muss es die Möglichkeit geben, Reisende (Mitarbeitende, Finanzierungspartner, Consultants) adäquat zu versichern. Zweitens müssten alle Anlaufstellen für Finanzierungs- und Förderfragen mehr Personal haben, so dass sie der Komplexität der Lage und den erhöhten Risiken gerecht werden können.
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